Geheimnis des Verlangens
Aber die Reise war beinahe vorüber. Jetzt konnte er sich nicht mehr lange vor ihr verstecken. Oder?
Sie war plötzlich müde. Wahrscheinlich waren es diese heftigen Gefühle, die sie beinahe erstickten. Stolz war eine schreckliche Angelegenheit. Und er saß ihr noch immer im Nacken, obwohl er sich langsam etwas abnutzte.
Sie sah zu Lazar hinüber und sagte ruhig: »Wenn Ihr ihm erzählt, was ich gesagt habe, werde ich es leugnen.«
Er schien ihr nicht zu glauben und sagte das auch: »Das ist nicht Euer Ernst.«
»Oh, doch.«
»Aber warum?«
»Er muss mich wollen, gleichgültig, was er denkt.«
»Aber das tut er doch schon«, sagte Lazar sanft.
Sie schüttelte den Kopf. »Dann hätte er sich nicht so lange von mir ferngehalten.«
»Tut ihm das nicht an, Tanya«, bat Vasili flehentlich. »Stefan kann mit Schuld nicht gut umgehen.«
Sie sah über ihre Schulter, und zum erstenmal schenkte sie Vasili ein ehrliches Lächeln. »Er wird sich nicht schuldig fühlen, er wird wütend sein. Das habt Ihr selbst gesagt. Aber zufälligerweise habe ich keine Angst vor seinem Zorn. Wie sieht es aus? Werde ich nun Eure Königin sein oder nicht?«
»Ja«, antworteten sie alle drei gleichzeitig.
»Dann respektiert meine Wünsche.«
»Aber er ist bereits unser König, und unser Freund obendrein«, hob Lazar hervor.
»So? Ich habe Euch gesagt, dass ich es leugnen werde. Dann wird er einfach wütend auf Euch sein, weil Ihr ihn in die Irre geführt habt.«
Dann ging sie schnell fort, bevor die drei sie davon überzeugen konnten, dass sie unvernünftig, eingebildet und sehr wahrscheinlich völlig übergeschnappt war.
Kapitel 33
T anya hatte nicht erwartet, dass Stefan sie am nächsten Tag, als das Schiff in Danzig anlegte, abholen würde. Sie hatte gehofft, er würde es tun, und sich deshalb entsprechend angezogen, aber erwartet hatte sie es nicht.
Sie besaß jetzt so viele schöne Kleider, unter denen sie wählen konnte, dass es ein echtes Dilemma war. Wie musste sie sich anziehen, um ihn zu beeindrucken? Schließlich entschied sie sich für einen dunkelsmaragdgrünen Rock mit einem dazu passenden hochtaillierten Jäckchen, das bis zum Hals zugeknöpft wurde. Nur die zarte weiße Spitze des hohen Kragens ihrer Bluse lugte daraus hervor. Sascha hatte sie sogar mit zwei verschiedenen Überkleidern versorgt. Da war zum einen ein langes, dickes Cape in Perlgrau. Das Gewand war mit einem etwas dunkleren Pelz besetzt und hatte eine Kapuze, deren Kante innen und außen ebenfalls mit Pelz gefasst war. Die Alternative zu diesem Cape war ein Mantel, ähnlich dem der Männer: schwarzer Samt mit braunem Zobel an allen Kanten und einem breiten, üppigen Kragen. Bei ihr reichte das Gewand bis zu den Knöcheln, während es bei den Männern schon an den Knien endete. Sascha schien es für komisch gehalten zu haben, ihren Mantel aus demselben Material und denselben Farben machen zu lassen wie denjenigen, den Stefan jetzt trug. Glücklicherweise hatte sie sich heute für das graue Cape entschieden.
Er wirkte steif. Die leichte Verbeugung, mit der er sie begrüßte, war formell, und sie konnte seine Miene nicht deuten, als er sie betrachtete, obwohl seine Augen mehr bernsteinfarben als braun waren. Aber sie hatte nichts getan, das ihn in Wut bringen konnte. Das sanfte Glühen musste also von irgendeinem anderen Gefühl herrühren, obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, von welchem.
»Es ist unsere Hoffnung, dass die Reise nicht zu ermüdend für Euch war.«
Eindeutig steif, und sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie sie das verstehen sollte. War es nur seine Abneigung dagegen, wieder mit ihr zu tun zu haben oder... Gott helfe ihr! Hatten ihm die anderen entgegen ihren Wünschen anvertraut, was sie gestern gesagt hatte? Nein, das war höchst unwahrscheinlich. In dem Falle wäre er direkt zu ihr gekommen, um es aus ihrem eigenen Mund zu hören, oder? Und wütend wäre er außerdem. Im Augenblick war er jedoch nur — verdammt noch mal, sie konnte nicht genau sagen, was er war. Aber wenn sie irgend etwas aus den Äußerungen seiner Freunde herausgehört hatte, dann die Tatsache, dass Stefan wohl noch komplizierter war, als sie angenommen hatte.
Sie beschloss , an ihrem Plan festzuhalten. Sie würde sich zwanglos benehmen, ein klein wenig herausfordernd, ein klein wenig freundlich, vielleicht sogar ein bißchen provokativ, ganz wie es die Situation erforderte. Sie hatte jedenfalls vor, ihn so lange aus dem Gleichgewicht zu bringen, bis
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