Geheimnis des Verlangens
rechtfertigen, das sie den Banditen direkt in die Arme geführt hatte.
Daher war sie einigermaßen überrascht, als sie fühlte, wie seine Lippen sanft ihre Wange streiften, und sie ihn mit geringfügiger Neugier fragen hörte: »Wer hat dich geküsst , ohne dass du etwas dabei empfunden hast?«
Ohne das leiseste Schuldgefühl wegen des Wutanfalls, den ihre Antwort vielleicht auf seinen goldenen Schopf herunterprasseln ließ, sagte sie: » Vasili .« Dann jedoch stellte sie schleunigst seine Ehre wieder her, indem sie hinzufügte: »Aber er hat es gehasst , das zu tun, hat die ganze Zeit nach Ausflüchten gesucht und erst nachgegeben, als ich gesagt habe, ich würde jemand anderen darum bitten, mich zu küssen, wenn er es nicht täte.«
Stefan erhob sich auf einem Ellbogen, um ihr einen ungläubigen Blick zuzuwerfen. »Du bist herumgelaufen und hast um Küsse gebeten?«
»Nur um festzustellen, ob du recht hattest oder nicht.«
»Konntest du nicht einfach auf vergangene Erfahrungen zurückgreifen?«
Sie ließ sich nicht davon beirren. Sie war im Augenblick viel zu satt und zu abgeklärt, um sich von irgend etwas beirren zu lassen.
»Ich hasse es, dich enttäuschen zu müssen, so wie ich Vasili enttäuscht habe, da er mich dasselbe gefragt hat. Aber meine vergangenen Erfahrungen sind nicht so groß und so zahlreich, wie ihr beide glaubt.«
Da lächelte er. »Und da wollte ich schon zugeben — zu meiner eigenen Verblüffung —, dass ich langsam eine gewisse Dankbarkeit dafür entwickele.«
Das hätte Tanya beinahe die Kehle zugeschnürt, aber sie wusste schließlich, was er meinte und errötete. Dann erwiderte sie: »Das war nicht Erfahrung, das war reiner Instinkt.«
»Ich habe nicht versucht, dich zu beleidigen, Tanya«, sagte er sanft.
Das wusste sie, und sie konnte es kaum glauben. Aber wenn das die Art von Reaktion war, die sie von ihm zu erwarten hatte, wenn er nicht gerade von Schuldgefühlen heimgesucht wurde, die ihn, wie sie jetzt wusste , beim letzten Mal zu schaffen gemacht hatten, dann würde sie eben zusehen müssen, dass sie sich öfter liebten.
»Könnten wir nicht heute hierbleiben — um deine >Dankbarkeit< etwas genauer zu erforschen?«
Er lachte und rollte sich herum, seine Arme fest um sie geschlossen, so dass sie mit ihm kam. Seine Hand bewegte sich, um ihr über das Haar zu streichen und ihr Gesicht gegen seine Brust zu pressen.
»Ich wünschte, wir hätten etwas mehr Zeit, aber mein Vater wartet sicher schon gespannt auf unsere Ankunft. Er wird auf die Stunde genau wissen, wann wir erwartet werden könnten, und diese Verspätung ...«
» Wird ihn aufregen.« Sie seufzte »Ich verstehe.«
Mit einem kräftigen Klaps auf ihre Kehrseite forderte er sie auf, sich anzuziehen, aber sie erhielt noch vier weitere Küsse, die ihre Verspätung vergrößerten, während sie versuchte, seinem Befehl zu gehorchen. Der Mann schien an diesem Tag einfach nicht die Hände von ihr lassen zu können, und ihr ging es nicht anders. Es war so ungewöhnlich, ihn auf diese Weise um sich zu haben, und sie hätte gar nicht glücklicher sein können.
Als sie zur Abreise fertig waren, machte sie sich seine angenehme Stimmung zunutze, um zu fragen: »Was sollte diese Bemerkung, dass Pavel mir die Peitsche erspart hat?«
»Sicher nichts von Bedeutung«, erwiderte er, aber dann griff er plötzlich nach ihrem Kinn, um streng hinzuzufügen: »Ignoriere niemals mehr eine konkrete Warnung, Tanya.«
Sie lächelte, denn sie war sich vollauf bewusst , dass dies schon das ganze Ausmaß seines Tadels war. »Dann darfst du mich auch nie wieder ignorieren, Stefan. Ich mache ziemlich törichte Sachen, wenn ich wütend werde.«
»Lieber Himmel, als ob wir das nicht alle täten.«
Kapitel 47
D ie Hauptstadt von Cardinia war nur eine ganz gewöhnliche Stadt, ähnlich wie Warschau, das sie auf ihrer Reise durchquert hatten, oder Danzig. Tanya wusste nicht, warum tief in ihrer Phantasie verborgen dieses Märchen existierte, mit einem Schloss und einer rosengeschmückten Landschaft. Es gab kein Schloss , aber es schneite bei ihrer Ankunft, und dieser Umstand verlieh dem Ort, an dem sie leben würde, ein wenig von der Schönheit eines Märchenlandes. Die Stadt war von einer altertümlichen Mauer umschlossen, die nicht länger bewacht und an manchen Stellen auch schon ziemlich verfallen war, aber die Stadt hatte sich schon vor Jahrhunderten über diese Mauer hinaus ausgedehnt.
Wie in jeder Stadt gab es viele große,
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