Geheimnis des Verlangens
zuhörte. Sandor würde ebenfalls glücklich sein. Sie hatten beide große Angst ausgestanden, dass nichts Stefan dazu bringen konnte, das Mädchen zu akzeptieren, ob er sie nun nach Hause brachte oder nicht. Aber es sah ganz so aus, als hätte er schon weit mehr getan, als sie zu akzeptieren.
»Es tut mir leid«, hörte Maximilian das Mädchen sagen.
»Das muss es nicht«, erwiderte Stefan. »Ihnen wenigstens müssen wir es sagen, und da können wir es genauso gut gleich jetzt tun.«
»Was muss man uns sagen?« fragte Maximilian, der plötzlich von ihrer Ernsthaftigkeit alarmiert war.
»Wir werden es euch beiden zusammen erzählen, Max. Also warnt ihn am besten vor, dass wir hier sind. Ich möchte ihn nicht damit überraschen, einfach in sein Zimmer zu marschieren.«
Max tat, wenn auch widerwillig, wie ihm gesagt wurde, und die nächste Stunde erwies sich als ungemütlich für sie alle, aber ganz besonders für Tanya, während sie Stefan zuhörte, wie er ihr Leben zusammenfasste — ein Leben, das seiner Schilderung nach nur eine freudlose und klägliche Existenz gewesen war. Man hätte wirklich glauben können, dass sie alle Qualen der Hölle durchlitten hatte, und daher unterbrach sie ihn schließlich, um ein weniger finsteres Bild zu zeichnen. Sie ließ das Elend ihrer Jugend aus und berichtete nur von den helleren Augenblicken, ganz besonders von den Jahren, die sie mit Iris geteilt hatte.
Aber Sandor war nichtsdestoweniger sichtbar betroffen, und sie begriff auch warum, als er zu ihr sagte: »Du muss t mich ja hassen, Mädchen.«
»Warum? Ich kenne Euch nicht einmal.«
»Ich bin derjenige, der dich mit der Tomilova weggeschickt hat. Sie war die beste Freundin deiner Mutter. Sie hätte dich unter Einsatz ihres eigenen Lebens beschützt, aber niemand ist auf die Idee gekommen, dass sie sterben und dich hilflos zurücklassen könnte, auf Gedeih und Verderb irgendwelchen Bauern ausgeliefert.«
Tanya zweifelte daran, dass es Dobbs gefallen hätte, ein Bauer genannt zu werden. Er war es gewohnt, dass man ihn als weißen Abschaum beschimpfte, aber Bauer? Bei dem Gedanken musste sie lächeln. Sie schenkte dieses Lächeln Sandor, um ihn zu beruhigen.
»Ihr dürft vor allen Dingen nichts bedauern, was Ihr niemals wissen konntet, ebenso wie es sinnlos wäre, etwas, das vergangen und erledigt ist, zu bedauern. Also glaubt nicht, dass ich mein bisheriges Leben bedauere. Das tue ich nicht. Es hat mich vieles gelehrt, Fähigkeiten, die eine verhätschelte und verwöhnte Prinzessin niemals erworben hätte. Und absolute Selbständigkeit ist sicherlich nicht das schlechteste. Ich glaube, meine Erziehung hat mich stark gemacht, ganz gewiss stark genug, um es mit Eurem Sohn und seinem königlichen Temperament aufzunehmen.«
Sandor johlte vor Lachen. »Gesprochen wie eine Janacek. Dieser Zweig der Familie hat schon immer die besseren Diplomaten gehabt. Wir sind dankbar für dein Verständnis, Kind. Du wirst eine wirklich glänzende Königin abgeben.«
»Wann?« fragten sie und Stefan beinahe gleichzeitig.
»Wäre nächste Woche zu früh? Schließlich ist das etwas, auf das wir jahrelang gewartet haben, und die Vorbereitungen sind bereits seit Monaten im Gange.«
Eine bloße Woche vor der Hochzeit? Tanya war es recht. Sandor mochte vielleicht jahrelang auf diesen Tag gewartet haben, aber sie selbst hatte das Gefühl, eine Ewigkeit auf diese Zeremonie gewartet zu haben, die ihr das Recht geben würde, Stefan ihren Mann zu nennen.
Kapitel 48
E s war am Tag vor der Hochzeit, als Tanya endlich bemerkte, dass sie Stefan in der vergangenen Woche kaum zu Gesicht bekommen hatte, und auch bei diesen Gelegenheiten nur kurz. Die Anfertigung ihres Hochzeitsgewandes war eine große Sache gewesen und hatte stundenlange Anproben erfordert. Dann hatte es sogar noch mehr Anproben gegeben, weil auch andere Kleider für sie gemacht wurden. Jeden Tag hatte man ihr ein neues Kleid gebracht, das sie bei irgendeiner besonderen Gelegenheit tragen sollte. Einmal wurde sie bei Hofe vorgestellt und mit den wichtigeren Adeligen des Landes bekanntgemacht, ein andermal lernte sie die ausländischen Botschafter und Würdenträger kennen, die bei ihrer Hochzeit zugegen sein würden.
Außerdem musste sie stundenlange Befragungen über sich ergehen lassen, wenn Maximilian mit seinen Sicherheitsbeamten bei ihr aufgetaucht war, um noch die winzigste Einzelheit über die Anschläge auf ihr Leben zu erfahren. Sie musste den ersten Zwischenfall geradezu
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