Geheimnis des Verlangens
habe und womit ich Ihr sogenanntes Zartgefühl beleidigt haben könnte.«
Selbst in seiner Entschuldigung schwang noch Verachtung mit, und es gelang ihm, sie auf diese Weise erneut zu beleidigen. Außerdem hatte er klar durchblicken lassen, dass er keine Ahnung hatte, womit er ihr eigentlich Unrecht getan hatte. Aber Tanya wusste auch, dass sie von seinesgleichen nicht mehr zu erwarten hatte. Zumindest aber hatte er ihr den Vorwand geliefert, den sie brauchte, um ihr Messer wieder in die Scheide zu stecken. Die blauen Augen vor ihr waren eindeutig erleichtert. Sie konnte nur hoffen, dass ihre eigene Erleichterung etwas besser verborgen blieb.
Zu diesem Zweck wirbelte sie herum und schenkte Vasili ein strahlendes Lächeln. »Ich danke Euch, lieber Herr! Es tut meinem Herz gut zu wissen, dass ich mich nicht in Euch getäuscht habe.«
Vasili runzelte die Stirn, denn ihm war bewußt, dass sie ihren Dank genausowenig ernst meinte wie er seine Entschuldigung. Aber er war nicht in der Lage herauszufinden, ob sie einfach nur seine Beleidigung erwidert hatte, und daher zog er es vor zu schweigen.
Stefan räusperte sich und lenkte damit ihre Aufmerksamkeit von dem Adonis ab. »Sind Sie jetzt zufrieden, Mistress?«
Ihr Lächeln hielt seinem Blick stand. »Aber selbstverständlich. Ich bin ja nur ein Tavernenmädchen und so einfältig, dass ich unmöglich wissen kann, was er alles in diesen Schwall wohlgesetzter Worte hineingelegt hat. Warum sollte ich also nicht zufrieden sein? Nein, macht Euch nicht die Mühe, mir eine Antwort zu geben.« Das Lächeln war verflogen, gemeinsam mit dem sarkastischen Tonfall. Ihre Stimme und ihr Gesichtsausdruck waren jetzt vollkommen kalt. »Stellt mir jetzt einfach Eure Fragen, und dann geht.«
Vasili war erneut rot angelaufen, aber die warnenden Blicke der anderen Männer brachten ihn für den Augenblick zum Schweigen.
»Sie verstehen sich selbst gut auf gewählte Reden, Mistress«, bemerkte Stefan, während er zu dem ihm am nächsten stehenden Tisch ging und die Stühle davon herunternahm. »Wer hat Ihnen beigebracht, so zu reden? Wie bessere Leute, meine ich.«
»Bessere Leute?« wiederholte sie. Ihre Augen wurden schmal. »Ich wüßte nicht, wer...«
Er fiel ihr hastig ins Wort: »Lassen Sie mich das anders formulieren. Ihre Redeweise verbessert sich drastisch, wenn Sie das wollen. Hat Ihr Vater Sie zur Schule geschickt?«
»Mein Vater? Wenn Ihr Dobbs meint, der glaubt nicht an Schulen oder sonst irgend etwas, das einen von der Arbeit abhalten könnte. Aber Iris Dobbs war eine gebildete Frau. Was ich weiß, habe ich von ihr gelernt.«
Er wies auf einen Stuhl. »Möchten Sie sich nicht setzen, Mistress?«
»Nein, danke.«
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich es tue?«
Ihre Lippen zuckten leicht. »Aber nein. Ihr müßt unbedingt Platz nehmen! Ich bin daran gewöhnt, auf Männer herabzusehen.«
Stefan hätte sich nach dieser Bemerkung um ein Haar anders besonnen, denn zu allem Übel hatte Lazar im Hintergrund wieder zu kichern begonnen. Er be Schloss , einfach davon auszugehen, dass sie auf ihre Arbeit in der Taverne anspielte, wo sie Männer bediente, die für gewöhnlich saßen. Aber diese andere Bedeutung ... Er setzte sich, nur um im nächsten Augenblick sofort wieder aufzuspringen und mit langen Schritten auf sie zuzugehen.
»Wilbert Dobbs ist also nicht Ihr Vater?«
»Nein, Gott sei Dank nicht.«
Sie hatte mittlerweile in solchem Maß seine Neugier geweckt, dass er gern erfahren hätte, warum dieser Umstand sie mit Dankbarkeit erfüllte. Aber um das herauszufinden, hatten sie nicht diese ganze unerfreuliche Szene über sich ergehen lassen. »Demnach arbeiten Sie nur hier?«
»Ich lebe hier, solange ich mich erinnern kann.«
»Ah, dann muss Mr. Dobbs' Frau Ihre Mutter gewesen sein?«
Tanya runzelte die Stirn. »Warum interessiert Ihr Euch so sehr für die Familie Dobbs? Iris ist tot, und bei Dobbs wird es auch nicht mehr lange dauern.«
»Haben Sie einfach etwas Geduld mit mir. Um so eher werden wir fertig sein. Also, war Iris Dobbs nun Ihre Mutter?«
»Nein. Iris hat mir erzählt, dass meine Mutter starb, als ich noch ein Baby war.«
»Wie ist sie gestorben?«
»Am Gelben Fieber.«
»Kennen Sie Ihren Namen?«
»Den Namen meiner Mutter?« Wieder runzelte sie die Stirn, nicht nur, weil er langsam zu persönlich wurde, sondern auch weil er diese Frage mit einer Heftigkeit hervorgestoßen hatte, die sie überraschte. »Das spielt doch keine Rolle, oder? Bleibt bei
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