Geheimnis des Verlangens
den Fragen über Dobbs, um deren Beantwortung Ihr mich ja so höflich gebeten habt, oder ich sage überhaupt nichts mehr.«
»Alle meine Fragen stehen in einem bestimmten Zusammenhang«, sagte er unnachgiebig. »Wenn meine Fragen persönlich werden, liegt das daran, dass Sie Ihr ganzes Leben bei Wilbert Dobbs verbracht haben. Also. Der Name Ihrer Mutter?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete sie steif. Seine Erklärung hatte sie nicht zufriedengestellt, und sie scherte sich auch keinen Deut darum, dass er sie jetzt mit finsteren Blicken bedachte.
»Was ist mit Ihrem eigenen Namen? Tanya, nicht wahr? Wurden Sie mit diesem Namen geboren, oder hat Iris Dobbs Ihnen diesen Namen gegeben, als sie Sie zu sich nahm?«
»Beides, könnte man wohl sagen. Meine Mutter hat Iris gesagt, wie ich heiße, aber der Name hatte einen so ungewöhnlichen Klang, dass sie sich später nicht mehr richtig daran erinnern konnte. So bekam ich also nur einen Teil davon ab, oder jedenfalls etwas, das so ähnlich klang. Na ja, immer noch besser als gar nichts, denke ich.«
Er stand jetzt direkt vor ihr und starrte einen langen, nervenaufreibenden Augenblick auf sie herab, bevor er seine nächste Frage stellte: »Möchten Sie Ihren ganzen Namen wissen?«
»Stefan!« Hinter Tanyas Rücken meldete sich eine warnende Stimme zu Wort. »Es könnte immer noch reiner Zufall sein!«
Über ihren Kopf hinweg sah er den Mann hinter ihr an. »Es ist viel mehr als nur Zufall, Lazar. Mehr brauchen wir doch nicht zu hören, oder?«
Stefan bekam nur Schweigen als Antwort, und sein Blick senkte sich wieder auf Tanya. »Waren Iris und Wilbert Dobbs beide bei Ihrer Mutter, als sie starb?«
»Ja«, erwiderte sie, noch immer verwirrt von der letzten Frage, die er ihr gestellt hatte.
»Wie kam das?«
»Sie waren damals zusammen auf Reisen.«
»Von wo kamen sie?«
»New Orleans.«
»Mit dem Schiff?«
»Nein, mit einem Einspänner.«
Er warf Lazar einen triumphierenden Blick zu. Tanya konnte den unfaßbaren Gedanken keinen Augenblick länger schweigend ertragen. »Wißt — wißt Ihr, wer meine Eltern sind?«
»Möglicherweise — wenn Sie ein bestimmtes ... Muttermal ... haben, das sozusagen, hm, erblich ist.«
Es war ihr nicht einmal aufgefallen, dass er bei diesen durchaus logisch klingenden Worten merklich gezögert hatte. Zu sehr war sie damit beschäftigt, ihre Erregung zu bezähmen. Denn was er da angedeutet hatte, war zu unwahrscheinlich, um wahr zu sein. Und doch — seit dem Tag, als sie herausgefunden hatte, dass sie gar nicht die leibliche Tochter von Dobbs und Iris war, hatte sie sich den Kopf zerbrochen über ihre wirklichen Eltern. Woher sie kamen, wie sie wohl waren, und wer sie waren.
Es war damals eine schreckliche Enttäuschung für sie gewesen, dass Iris ihr nicht mehr erzählen konnte. Sie konnte sich einfach nicht mehr an den Namen von Tanyas Mutter erinnern, obwohl sie diesen Namen einmal gehörte hatte. Sie konnte sich auch nicht an Tanyas eigenen Namen erinnern, oder jedenfalls nicht an den ganzen Namen. Aber schließlich war Iris zu jener Zeit völlig verzweifelt gewesen. Und sie musste damals nicht nur mit ihren eigenen Problemen fertig werden, sondern außerdem noch mit einer sterbenden Frau, der sie ihre Hilfe versprochen hatte. Tanya konnte ihr wahrhaftig keinen Vorwurf machen, dass ihr diese Dinge später entfallen waren, aber für Tanya selbst brachte dieser Umstand ein Leben voll brennender Neugier und Unzufriedenheit mit sich.
Andere Mädchen hatten irgendeinen Hintergrund, reich an Details und Farben. Ihr eigenes Leben, das seinen Anfang in einer Taverne genommen hatte, war dagegen ein unbeschriebenes Blatt. Und hier standen nun vier fremde Männer vor ihr und machten Andeutungen über ein Wissen, das sie ebenso heiß ersehnte wie ihre Unabhängigkeit — wenn nicht sogar noch mehr. Endlich eine eigene Identität zu haben, eine Familiengeschichte, vielleicht sogar Verwandte, die noch lebten — ein Geburtsdatum! Das wäre einfach zu wundervoll, um wahr zu sein. Sie durfte sich keine allzu großen Hoffnungen gestatten, sonst war ihr die Enttäuschung bereits gewiss ... Und das alles sollte von einem Muttermal abhängen?
Während ihr diese Gedanken durch den Kopf schössen, starrte Tanya blicklos auf die breite Männerbrust vor ihr, aber ihr über Jahre hinweg geschulter Selbsterhaltungstrieb warnte sie gerade noch rechtzeitig, als eine Hand in die Höhe fuhr, um ihr Kinn zu heben und auf diese Weise erneut ihre
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