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Geheimnis des Verlangens

Geheimnis des Verlangens

Titel: Geheimnis des Verlangens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Lindsey
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üppigen Mund mit seinen vollen Lippen. Und er sah auch Stärke — oder Sturheit — in ihrem Kinn, ebenso wie die leichte Wölbung ihrer Nasenspitze, die ihr Gesicht davor bewahrte, hochmütig zu wirken. Er sah ein Gesicht von solchem Liebreiz, dass ihm nicht einmal die blumigste Beschreibung eines Dichters hätte gerecht werden können. Und ihm mißfiel jeder Zoll davon.
    Dieses Mißfallen konnte Tanya deutlich aus seiner Miene herauslesen, nur verstehen konnte sie es nicht. Gestern, als sie so reizlos ausgesehen hatte, wie sie nur konnte, hatte dieser Mann sie ein dutzendmal gewollt, oder wenigstens hatte er das behauptet. Und jetzt wollte er sie nicht mehr? Es war zum Verrücktwerden, sie hätte ihr Gesicht schon eher waschen sollen!
    Als er seine Untersuchung beendet hatte, sagte er mit trügerischer Unbekümmertheit: »Ich verstehe, was Ihr meint, Tanya. Sie hätten scharenweise vor Eurer Tür Schlange gestanden, nicht wahr? Oder bedient Ihr mehr als einen gleichzeitig?«
    Lieber Himmel, er wurde wirklich eklig, jetzt, wo er sie nicht länger für sich selbst wollte. Tanya wusste nicht, ob sie über seine gemeine Anspielung weinen oder ihn ohrfeigen sollte. Aber sie hatte vergessen, wie man weint...
    Der Knall ihres Schlages wirkte ohrenbetäubend laut in der Stille, die sie umgab. Tanya musste sich auf die Lippen beißen, um sich davon abzuhalten, ihre Hand zu schütteln; ihre Haut brannte wie Feuer. Stefans Wange wurde weiß, dann füllte sie sich dort mit Blut, wo Tanyas Hand ihren Abdruck hinterlassen hatte. Die Narben darunter schienen fast zu verschwinden.
    Der Abdruck ihrer Hand auf seiner Wange erfüllte Tanya mit solcher Genugtuung, dass es ihr in diesem Augenblick egal gewesen wäre, wenn er sich auf der Stelle herumgedreht und einen Stock gesucht hätte, um sie zu schlagen. Vielleicht würde er ihr auch einen Hieb auf ihr Hinterteil versetzen, so wie Vasili es neulich abends gern getan hätte, als Stefan das gerade noch rechtzeitig verhindert hatte.
    Aber er tat weder das eine noch das andere. Er hob lediglich einen Finger an seine Wange und zog eine schwarze Braue hoch. »Ich nehme an, das sollte wohl >nein< heißen«, sagte er, und sie hätte ihm beinahe erneut ins Gesicht geschlagen. Er schien ihren Impuls geahnt zu haben, denn er schüttelte warnend den Kopf. »Ah, nein, Tanya. Einmal hab' ich vielleicht verdient, aber ein zweites Mal werde ich das nicht so einfach hinnehmen. Benehmt Euch ...«
    »Dann laßt mich, verdammt noch mal, in Ruhe, ehe ich endgültig die Nase voll habe von Eurem bösartigen Spott.«
    Sie wandte ihm den Rücken zu, und er antwortete ihr auch nicht. Einen Augenblick später hörte sie ihn weggehen, und sie musste sich sehr beherrschen, nicht in die entgegengesetzte Richtung loszurennen. Aber sie waren immerhin zu viert, um hinter ihr herzujagen. Und das Ende vom Lied wäre wahrscheinlich gewesen, dass sie ihre Kraft sinnlos verschwendet hätte.
    Ein weiterer Augenblick verging, und Lazar kam zu ihr. Sein Gesichtsausdruck zeigte äußerste Wachsamkeit. »Es ist mir sehr unangenehm, Euch zu fragen, Prinzessin, aber kann man das essen?«
    Sie blickte auf einen belaubten Zweig hinunter, den er in der Hand hielt. Wilde Beeren. Wenn sie nicht selbst so hungrig gewesen wäre, hätte sie nein gesagt und sich dann genüßlich zurückgelehnt und beobachtet, wie sie alle versucht hätten, zu erbrechen, was sie wahrscheinlich bereits gegessen hatten. Statt dessen nahm sie ihm den Zweig aus der Hand und stopfte sich ein paar von den saftigen Beeren in den Mund — eine Antwort, die ihrer Meinung gut genug für ihn war. Sie hatte es satt, mit diesen Kerlen zu reden.
    Aber die verdammten Beeren wollten nicht rutschen. Sie hatte einen Knoten im Hals, der sich dick wie ihre Faust anfühlte — etwas, das ihr seit ihrer Kindheit nicht mehr passiert war. Sie nahm an, dass sie wohl doch noch weinen konnte.
    Sie gab keinen einzigen Laut von sich, aber die Tränen begannen, verschwenderisch zu fließen. Lazar erbleichte, als er sie sah. Tanya jedoch nahm weder seine Reaktion zur Kenntnis noch die Tatsache, dass er sie verließ. Und dann begann irgendwo hinter ihr ein Streit, der einen Augenblick lang in eine wirklich hitzige Debatte ausartete, obwohl sie auch dieser Tatsache keine besondere Aufmerksamkeit schenkte. Vielleicht würden sie sich gegenseitig umbringen. Das wäre immerhin ein Hoffnungsschimmer...
    Die Arme, die sie umschlossen, waren so zärtlich, dass es wehtat, und zogen sie an

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