Geheimnis des Verlangens
dasselbe konnte sie für sich nicht behaupten. Unglücklicherweise fand sie ihn immer noch sehr attraktiv, und im Augenblick sogar ganz besonders, wie er dalag, ohne Jacke und Wams. Sein Halstuch hatte er schon vorher abgelegt, und eine Welle schwarzen Haares fiel ihm über die Brauen. Der Blick seiner sherrygoldenen Augen war immer eindringlicher geworden, je länger ihr Schweigen dauerte.
Aber dann fiel ihr seine Frage endlich wieder ein und die Tatsache, dass sie ihn nach dem heutigen Abend wohl nie mehr wiedersehen würde. Daher schüttelte sie schließlich stumm den Kopf. Sie weigerte sich, ihre Entscheidung auch nur ein kleines bißchen zu bereuen. Er mochte vielleicht der einzige Mann sein, der sie jemals derartig aufgewühlt hatte, aber die bloße Tatsache, dass er das tun konnte, machte ihn für sie gefährlicher als irgendeinen anderen Mann. Ein Mann paßte nun einmal nicht in ihre Zukunftspläne. Kein Mann tat das. Und dieser hier erst recht nicht, mit seinen Lügen, seiner Arroganz — seiner unendlichen Verachtung für sie. Sie musste verrückt sein, auch nur daran zu denken, ihn in Versuchung führen zu wollen.
Er reagierte nur mit einem Schulterzucken auf ihre zweite Ablehnung. Aber einen Augenblick später setzte er sich auf und sagte: »Dann kommt her.«
Ihre Augen verengten sich, und sie warf ihm einen argwöhnischen Blick zu. Sie war ihm schon näher als ihr lieb war, da ihr Laken direkt neben dem seinen lag.
»Warum?«
»Ich will Euch für die Nacht vorbereiten.« Mit diesen Worten zog er das Seil auf seinen Schoß und fügte hinzu: »Ich bedaure, dass das notwendig ist, Tanya, aber es gibt keinen Grund, warum einer von uns auf seinen Schlaf verzichten sollte, jetzt, wo wir das hier haben.«
>Das hier< war das Seil. Als sie begriff, dass er die Absicht hatte, sie damit festzubinden, hätte sie beinahe laut aufgelacht. Gott sei Dank hatte sie sich am Morgen nicht erboten, etwas zum Essen zu erbeuten, denn zu diesem Zweck hätte sie ihr verborgenes Messer offenbaren müssen. Dieses Messer würde sie jetzt aus all ihren Schwierigkeiten befreien, weil sie alle fest schlafen würden, in der fälschlichen Annahme, sie befände sich für die Nacht in sicherem Gewahrsam.
Sie kroch näher zu ihm hinüber, ganz langsam, so als tue sie das höchst widerwillig. »Ist das wirklich nötig?«
»Unbedingt«, versicherte er ihr. »Es sei denn, Ihr würdet lieber unter mir schlafen.«
Dass er so etwas in diesem Augenblick zu ihr sagen konnte, war ausgesprochen empörend, insbesondere, da er es nicht ernst meinte und es zweifellos nur ein sarkastischer Seitenhieb war. Aber seine Worte beschleunigten dennoch ihren Puls.
Sie konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, laut aufzukreischen und ihn für seine Unverschämtheit zu verfluchen. Statt dessen schnurrte sie wie ein Kätzchen: »Oh, ich weiß nicht. Ich bin daran gewöhnt, auf solche Weise fast zerquetscht zu werden, aber Ihr werdet diese Art zu schlafen vielleicht nicht sehr bequem finden.«
Sie hatte anscheinend wieder einen bloßliegenden Nerv getroffen, denn seine Lippen preßten sich fest zusammen, sein Kiefer verspannte sich, und in seinen Augen stellte sich unverkennbar das bekannte Glühen ein. Interessant. Warum sollten Anspielungen auf ihren vertrauten Umgang mit Männern ihn immer noch stören? Verdammt, seine Haltung ergab einfach keinen Sinn. Das tat sie nie; selbst als er sie noch begehrt hatte, hatte ihm der Gedanke, sie sei eine Hure, absolut nicht gefallen — außer an jenem ersten Abend in der Taverne. Es hatte ihn also nicht gestört, solange er bereit war, für ihre Dienste zu zahlen, oder? Tatsache war doch, dass er an jenem Abend sogar ausgesprochen froh darüber zu sein schien, dass sie anscheinend eine Hure war.
Sie sollte die Sache zu seiner Zufriedenheit klären, bevor sie die Männer verließ. Es würde ihm jedenfalls einen gehörigen Dämpfer versetzen, wenn sie ihm zeigte, wie sehr sie alle ihr unrecht getan hatten. Sie weidete sich geradezu an der Idee, ihn solchermaßen zu beschämen — aber woher kamen nur andauernd diese Gedanken? Sie wollte dieses Kapitel ihres Lebens wahrhaftig nicht mit Kenntnissen in Hurerei beschließen. Das war das letzte, was sie gebrauchen konnte. Es war schon schlimm genug, dass sie herausgefunden hatte, wie schön das Küssen sein konnte.
Sie streckte eine Hand aus, aber statt sie zu ergreifen, wartete er lediglich ab. Daher gab sie ihm widerstrebend auch die andere. Er war schnell damit
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