Geheimnis des Verlangens
wäre, hätten sie sie gleich nach dem Dinner auf direktem Wege wieder in ihre Kabine gebracht. Widerstrebend nahm sie zur Kenntnis, dass sie ihm zu danken hatte, obwohl sie es haßte, ihm für irgend etwas zu Dank verpflichtet sein zu müssen, selbst wenn es sich um eine Möglichkeit handelte, an Stefan Rache zu üben.
Natürlich war es nicht genug, Stefan nur zu ärgern, obwohl sie bisher noch nicht herausgefunden hatte, was sonst sie tun konnte. Aber dann fiel ihr auf, dass der Spieler, der auf der anderen Seite des Tisches vor Stefan saß, ihr mehr Aufmerksamkeit widmete, als den Karten in seiner Hand. Ihr kam eine Idee.
Er war ein großer Mann mit einer sehr breiten Brust. Nach dem, was sie sehen konnte, hatte er nicht das kleinste bißchen Fett auf den Rippen. Er sah auch nicht schlecht aus, wahrscheinlich ein paar Jahre älter als Stefan, mit dunkelbraunem Haar und noch dunkleren braunen Augenbrauen. Wie einer der anderen Herren am Tisch hatte er seinen Mantel ausgezogen und sich die Hemdsärmel aufgerollt — wahrscheinlich, damit niemand ihn des Betrugs bezichtigen konnte. In jedem Falle hatte er das Spiel, das gerade im Gange war, anscheinend sehr ernstgenommen — bis jetzt.
Es lag eine Menge Geld auf dem Tisch. Ein sehr großer Betrag. Das meiste davon lag vor dem braunhaarigen Spieler; die beiden anderen Spieler hatten nur bescheidene Häufchen vor sich liegen. Stefan warf seine letzten beiden Scheine auf den Tisch, um seinen Gegner dazu aufzufordern, seine Karten aufzudecken. Dann ging das Spiel weiter, und sie zogen ihre Karten. Der große Spieler brauchte eine Extraaufforderung, als er an der Reihe war zu setzen, weil seine Augen wieder auf Tanya ruhten statt auf seinen Karten.
»Sind Sie noch im Spiel, Mr. Barany?«
Tanya zuckte zusammen, als sie begriff, dass diese Frage an Stefan gerichtet war, und zwar von dem Mann zu seiner Rechten. Sie hatte noch nie zuvor seinen Familiennamen gehört, hatte nicht einmal daran gedacht, ihn danach zu fragen. Eigentlich war Lazar der einzige von ihnen gewesen, der sich ihr ordentlich vorgestellt hatte. Vielleicht war ja auch ein Thomas oder Johnson unter ihnen, der ihre Geschichte, sie seien ausländische Adelige, über den Haufen werfen würde. Stefan griff in seine Rocktasche, um noch mehr Geld herauszuziehen. Mehr? Der Mann wusste wirklich nicht, wann man Schluß machen musste , aber das hatte sie bereits selbst in Erfahrung gebracht, auf die harte Tour. Nur dass dies hier mit Geld zu tun hatte — und damit, es zu verlieren. Machte es ihm denn gar nichts aus? Ein Seitenblick auf Vasili zeigte ihr, dass er nicht im geringsten besorgt war. Allerdings wusste der Mann wahrscheinlich gar nicht, wie man besorgt aussah oder wie man irgendeine andere Regung verriet als Langeweile oder Verachtung.
Sie beobachtete, wie Stefan abermals Geld auf den Tisch warf, um auch den zweiten Stich zu sehen. Der Mann zu seiner Linken warf das Handtuch. Der große Spieler legte seine Karten offen auf den Tisch und enthüllte damit drei Fünfen. Seine Augen kehrten jetzt wieder zu Tanya zurück, während er abwartete, ob jemand seine Hand überbieten konnte.
Es kostete sie einiges an Nerven, aber schließlich erwiderte Tanya sein Lächeln, weder schüchtern noch affektiert. Schließlich und endlich hatte sie jahrelang die Mädchen in der Taverne beobachtet, kannte ihre subtilen Signale und die Art, wie sie ihren Körper bewegten, wenn sie an einem Mann interessiert waren und wollten, dass er das auch bemerkte. Sie war trotzdem nicht ganz sicher, ob sie es richtig machte, aber sie nahm es an, als er zurücklächelte. Ein breites, schönes Lächeln, das ihn geradezu jungenhaft aussehen ließ und eindeutiges Interesse bekundete.
Aber um es nicht zu übertreiben, senkte sie den Blick — und konnte gerade noch Stefans drei Könige sehen, bevor er sie verdeckt auf den Tisch legte. Eine Geste, die ohne Worte bedeutete, dass er die drei Fünfen nicht schlagen konnte. Es ergab keinen Sinn. Sie kannte bei weitem nicht alle Kniffe dieses Spiels, aber sie wusste genau, dass drei Könige drei Fünfen schlagen konnten. Wusste Stefan etwa nicht, dass seine Karten die besseren waren? Sie fühlte sich versucht, es ihm zu sagen. Aber sie hielt den Mund. Ihm zu helfen, war keineswegs in ihrem Plan mit einbegriffen.
Ihre Augen wanderten automatisch wieder zurück zu dem großen Spieler, der jetzt aufgestanden war, um seinen Gewinn einzustreichen. »Sie werden mich entschuldigen müssen, meine
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