Geheimnis Um Mitternacht
sagte er: „Ich frage mich, wovor Sie solche Angst haben."
„Ich verstehe nicht ganz." Empört wandte Irene sich ihm zu. „Ich habe keine Angst. Ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie so etwas sagen können."
„Haben Sie nicht?" Spöttisch blickte er auf sie hinunter. „Wie sonst würden Sie es bezeichnen, dass Sie sich weigern, Radbourne Park einen Besuch abzustatten? Ich bitte Sie nicht, mich zu heiraten. Nicht einmal, darüber nachzudenken."
„Ich habe kein Interesse daran, Sie zu heiraten, also scheint es mir recht sinnlos zu kommen. Geben Sie meinen Platz einer anderen jungen Frau, die erpichter darauf ist, einen Ehemann zu finden."
„Natürlich wollen Sie mich nicht heiraten. Genauso wenig wie ich Sie heiraten möchte. Wir kennen einander kaum.
Aber das genau ist der Zweck dieses Besuchs - einander kennenzulernen. Eine bessere Vorstellung davon zu bekommen, ob wir zueinander passen könnten."
„Ich kenne Sie schon gut genug", schoss Irene zurück, blieb stehen und wandte sich ihm zu.
Er blieb ebenfalls stehen und sah sie direkt an. „Tun Sie das? Und wie ist das möglich, wenn wir kaum eine Viertelstunde miteinander verbracht haben?"
„Sie haben mir Ihre Natur gestern Abend sehr deutlich gezeigt", erklärte sie. Die kühle Ruhe, um die sie sich die ganze Zeit bemüht hatte, verließ sie zunehmend, und ihr Ärger wuchs. „Das war mehr als ausreichend für mich."
Ein Leuchten trat in seine Augen, und er beugte sich ein wenig hinunter zu ihr. „Mir schien, dass Sie auf meine Natur nicht gerade widerwillig reagiert haben."
Das dunkle Timbre seiner Stimme ließ ihre Nerven flattern, und Irene fühlte die Erinnerung an das Verlangen der letzten Nacht noch einmal tief in sich aufflammen. Wut ergriff sie.
„Eins ist klar - auch wenn Sie einen Titel haben mögen, ein Gentleman sind Sie jedenfalls nicht", fuhr sie ihn an.
„Warum? Weil ich die Unart habe, die Wahrheit zu sagen?", erwiderte er. „Sie haben recht, Mylady, ich bin kein Gentleman. Ich ziehe es vor, offen zu reden. Ich war der Meinung, dass Sie genauso denken. Offensichtlich habe ich mich geirrt."
Ihre Wangen glühten rot, ihre Augen blitzten, und alle Spuren der eben noch reservierten, kühlen Dame waren verschwunden. Anders als er sah Irene nicht, das dieses Aufflackern von Emotionen eine strahlende Schönheit aus ihr machte. Es war die wilde und ursprüngliche Herrlichkeit ihres Gesichts und Körpers, die er schon Jahre zuvor bemerkt hatte, und er konnte nicht anders, als tief in seinem Inneren darauf zu reagieren, selbst als er seine Zähne zusammenbiss und sich von ihr abwandte.
„Wie können Sie es wagen ...", begann sie und verstummte dann ungläubig, als er sie einfach ignorierte, sich umdrehte und ging.
Ihre Hände krampften sich in ihre Rockfalten, während sie darum kämpfte, die Fassung zu bewahren. Am liebsten hätte sie ihm wie ein Fischweib hinterhergeschrien, aber damit hätte sie sich genauso unhöflich und gewöhnlich gezeigt wie er. Deshalb zwang sie sich, den Impuls zu unterdrücken. Stattdessen schluckte sie hart, drängte die heftigen Worte zurück und marschierte erhobenen Hauptes hinter ihm her.
Er wandte nicht den Kopf, beobachtete sie aber aus dem Augenwinkel. Irene hingegen ließ sich nicht dazu herab, ihn anzusehen. Sie hatte ihn mit einigen schnellen Schritten eingeholt und ging neben ihm her.
Bald erreichten sie Lady Haughstons Brougham, und Irene ignorierte Lord Radbournes Hand und stieg ohne seine Hilfe ein. Francescas Blick glitt von der ausgestreckten Hand zu seinem Gesicht, das vollkommen ausdruckslos war, die Augen kalt und hart wie Glas. Sie sagte nichts, sah nur Irenes gleichfalls eingefrorenes Gesicht an, bemerkte die Farbe, die ihre Wangenknochen überzog, und den zornigen Glanz in ihren Augen.
„Nun", sagte sie mit einem strahlenden Lächeln. „Sie kommen genau zum rechten Zeitpunkt zurück. Ich stelle fest, dass ich ein klein wenig müde bin und gerne nach Hause zurückkehren würde. Lord Radbourne, es war schön, Sie wiederzusehen."
„Lady Haughston." Sein Tonfall war hart, und er sah sie kaum an, bevor er sich an Irene wandte. „Lady Irene. Ich hoffe, Sie werden Ihre Entscheidimg noch einmal überdenken und sich uns in Radbourne Park anschließen."
Ohne ihre Antwort abzuwarten, nickte er ihnen zu und ging; die Insassen der anderen Kutsche beachtete er nicht einmal.
Francesca musste ihr ganzes Geschick aufbringen, um sich von Lady Fenwit-Taylor loszueisen, bevor Irenes
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