Geheimnis Um Mitternacht
sich Fenster, auf der anderen war er mit Bildern bestückt.
Sie nickte und wandte sich in die Richtung, ohne seinen angebotenen Arm zu nehmen. Wandleuchter erhellten den ganzen Korridor, und ihr Licht spiegelte sich in den geteilten Fenstern gegenüber. Die Decke der Galerie war hoch, mit dunklen Holzbalken, die ihr einen dramatischen Anstrich verliehen. Portraits von Männern und Frauen, vermutlich die Ahnen der Bankes', schmückten neben Gemälden mit ländlichen Szenen und Tieren die Wände. Es gab Statuen und Vasen, einige auf Sockeln, andere frei stehend, und hier und dort unter den Fenstern befanden sich Bänke, auf denen man sitzen konnte, um die Kunst auf der gegenüberliegenden Seite zu bewundern.
Die meisten der Gemälde waren recht langweilig, aber Irene studierte sie dennoch, als wären sie Meisterwerke.
Denn so kam sie umhin, sich Lord Radbourne zuwenden zu müssen. Denn ihn anzusehen erzeugte einen zu großen Gefühlsaufruhr in ihr.
Nachdem sie eine Anzahl Vorfahren in immer altmodischerer Gewandung hinter sich gelassen hatten, kamen sie zu dem großen Gemälde eines Pferdes. Irene blieb stehen und platzte heraus: „Das ist das beste Bild hier!"
Ein Grinsen breitete sich über das Gesicht ihres Begleiters. „Ja, nicht wahr?Viel besser als das seines Besitzers." Er deutete auf das Porträt neben dem Pferd, auf dem ein Mann abgebildet war, dann weiter zu dem Bild einer Frau mit mürrischem Gesicht. „Oder das der Ehefrau des Mannes. Aber nach allem, was ich gehört habe, war der dritte Earl of Radbourne seinem Pferd auch deutlich mehr zugetan als seiner Frau."
Irene musste ein Lächeln unterdrücken. „Ich vermute, dass es eine Reihe von Männern gibt, die das von sich behaupten könnten."
„Sie haben keine sehr hohe Meinung von der Ehe, Lady Irene."
Sie antwortete nicht, hob nur eine Augenbraue und setzte ihren Weg durch die Galerie fort.
„Oder sollte ich eher sagen, dass es nicht die Ehe, sondern die Männer sind, die Sie in so geringem Ansehen halten?"
Irene zuckte die Schultern. „Wenn Sie meinen? Ich kann Sie nicht zurückhalten."
Schweigend gingen sie einige Minuten weiter, bevor Lord Radbourne emeut ansetzte: „Sie sind wieder über mich verärgert."
Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. „Warum sollte ich verärgert sein? Ich habe Sie bis eben noch nicht einmal gesehen."
Er nickte leicht. „Verstehe. Ich vermute, Sie sind beleidigt, weil ich nicht da war, um Sie zu begrüßen. Meine Großtante hat mich deswegen schon streng gerügt."
„Ach, waren Sie nicht?", fragte Irene, ihre Stimme vollkommen desinteressiert. „Ich fürchte, das ist mir gar nicht aufgefallen."
„Ach, wirklich?", murmelte er. Seine Lippen verzogen sich ein weiteres Mal zu einem Lächeln.
Es war ein sehr schönes Lächeln, wie Irene bemerkte. Sie hatte vergessen, wie es seine Augen zum Leuchten brachte. Er sollte es häufiger einsetzen, dachte sie. Denn so würde es ihr sehr schwerfallen, ihm weiter böse zu sein.
„Es war schon sehr unhöflich von Ihnen, Ihre Gäste zu ignorieren."
„Also genau die Art Verhalten, die Sie wegpolieren sollen", sagte er.
„Lord Radbourne, ich fürchte, es gibt auf der ganzen Welt nicht genug Politur, um sie anders als grob erscheinen zu lassen."
Er schien nicht gekränkt von ihrer Bemerkung, denn das Lächeln blieb auf seinen Lippen. „Vermutlich. Wissen Sie, Lady Irene, es gibt Leute, die behaupten könnten, dass Sie selbst nicht unbedingt höflich sind."
Sie holte Luft, um ihm zu widersprechen, hielt dann aber inne und sagte mit einem kurzen Lachen: „Nun, vielleicht stimmt das tatsächlich." Sie schwieg einen Moment. „Vielleicht sollten wir noch einmal von vorne anfangen.
Schließlich haben Sie und ich dasselbe Ziel - Sie mit einer passenden jungen Dame zu verheiraten."
Er zuckte die Schultern. „Ich denke, das ist mehr das Ziel meiner Verwandten als mein eigenes."
Ein wenig überrascht sah Irene ihn an. „Dann habe ich mich getäuscht und Sie selbst sind gar nicht daran interessiert? Sie wollen nicht heiraten?"
„Ich weiß, dass ich es irgendwann muss, und ich vermute, jetzt ist ein genauso guter Zeitpunkt wie jeder andere.
Aber es ist nicht mein vordringliches Ziel, Ehemann und Vater zu werden."
Sie setzten ihren Spaziergang die Galerie herunter fort, auch wenn Irene feststellen musste, dass sie ihren Begleiter mindestens so genau studierte wie die Gemälde.
„Ich dachte, die Suche nach einer Braut wäre Ihnen wichtig", sagte sie nach einem
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