Geheimnis von St. Andrews
ägyptischen Pyramiden. Dort hat man erst nach Jahrtausenden vergessene Wege zu den Grabkammern wiederentdeckt.“
Cherry nickte. Sie war selbst überrascht, wie gut sie den Anblick der beiden toten Frauen verkraftet hatte. Aber das lag hauptsächlich an Marks Gegenwart. Es kam ihr vor, als ob sie sich schon sehr lange kennen würden. Offenbar hatten sie dieselbe Wellenlänge. Doch trotz dieses glücklichen Zusammentreffens mit Mark durfte sie nicht vergessen, dass in Pittstown ein Mörder frei herumlief, und diese Tatsache hatte etwas sehr Beunruhigendes. Cherry war doch ängstlicher, als sie sich eingestehen wollte. Dabei hielt sie sich eigentlich für tapfer, aber mit einem Mord in ihrer unmittelbaren Umgebung hatte sie noch nie zu tun gehabt.
„Miss Wynn? Wir hätten ein paar Fragen an Sie.“
Cherry zuckte zusammen, als ein uniformierter Polizist sie ansprach. Sie hatte gar nicht auf ihn geachtet, obwohl er direkt auf sie zugekommen war. Sie atmete tief durch und versuchte sich zu konzentrieren. Cherry folgte dem Beamten zum Pfarrhaus, wo Inspektor Abercrombie für seine Vernehmungen das Büro von Father Nolan benutzen durfte. Der Kriminalist forderte sie mit einer Handbewegung auf, sich zu setzen.
Der Inspektor checkte zunächst ihre Personalien, bevor er weitere Fragen stellte. Cherry berichtete, dass sie erst vor wenigen Stunden in Pittstown eingetroffen war und ein Praktikum absolvieren wollte.
„Kannten Sie das Opfer, Miss Wynn? Der Gerichtsmediziner schätzt die Tote auf Anfang zwanzig. Sie war also ungefähr in Ihrem Alter.“
„Nein, Sir. Aber ich lebe ja normalerweise in London, wie ich schon gesagt habe. In dieser Gegend hier kenne ich mich überhaupt nicht aus. Weiß man denn immer noch nicht, wie die Tote heißt?“
Inspektor Abercrombie schüttelte den Kopf. „Nein, Miss Wynn. Allerdings haben die Kollegen von der Spurensicherung ihre Fingerabdrücke genommen und werden sie mit unseren Dateien vergleichen. Außerdem prüfen wir natürlich die Vermisstenanzeigen aus ganz Großbritannien, ob sich dort eine Übereinstimmung ergibt. Haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen?“
Während der Kriminalbeamte die Frage stellte, legte er ein Phantombild auf die Tischplatte. Cherry lief ein kalter Schauer über den Rücken, während sie sich vorbeugte, um das Bild genauer zu betrachten. Bisher kannte sie Phantombilder nur aus dem Fernsehen.
Die Gesichtszüge des Mannes auf der Zeichnung wirkten bedrohlich. Seine Augen lagen tief in den Höhlen. Die Lippen waren schmal, während das Kinn kaum ausgeprägt war. Besonders männlich oder kernig sah der Typ nicht aus. Aber der Polizeizeichner hatte es geschafft, ihn mit einer gefährlichen Aura zu umgeben. Wäre Cherry dieser Kerl draußen entgegengekommen, dann hätte sie sofort die Straßenseite gewechselt. Widerwillig schaute sie das Bild an, bevor sie es dem Kriminalbeamten zurückgab.
„Nein, dieser Mann ist mir noch nie begegnet, Sir. Das Gesicht hätte sich mir bestimmt eingeprägt. Wer ist das?“
„Er wird von der Sensationspresse als ‚Suffolk-Killer‘ bezeichnet. Leider verfügen wir bisher lediglich über diese Phantomzeichnung, die aufgrund von Zeugenaussagen gefertigt wurde. Wir kennen den Namen des Täters noch nicht. Aber er steht in dringendem Verdacht, mindestens vier Frauenmorde begangen zu haben. Er schlägt stets in der Grafschaft Suffolk zu, daher sein Spitzname.“
Cherry fühlte sich, als würde eine eiskalte Klaue nach ihrem Herzen greifen.
„Und wie kommen Sie darauf, dass der Killer auch die Frau aus der Leichenhalle auf dem Gewissen hat?“
„Das ist nur eine mögliche Spur, Miss Wynn. Momentan gehen wir allen Hinweisen nach. Aber dieser Mord würde in sein Tatschema passen. Der Suffolk-Killer hat bisher immer nachts getötet. Seine Opfer waren stets Frauen Anfang zwanzig, und sie wurden ausnahmslos erwürgt.“
Cherry selbst passte also auch erstklassig in sein Beuteprofil. Sie verdrängte diesen Gedanken und fragte stattdessen: „Dann weiß man also schon, wann die Frau ermordet wurde?“
„Ja, der Gerichtsmediziner geht von ihrem gewaltsamen Tod zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens aus. Aber zurück zu Ihrer Aussage, Miss Wynn. Ist Ihnen in der Kirche oder auf dem Friedhof etwas Ungewöhnliches aufgefallen? Oder vielleicht auf dem Weg vom Bahnhof hierher? Versuchen Sie bitte, sich genau zu erinnern.“
Cherry schüttelte den Kopf. „Nein, Sir. Wie gesagt, ich bin fremd hier. Wo wurde die Frau denn
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