Geheimnis von St. Andrews
er den Hinterbliebenen Trost spendete. Er wirkte auf sie nicht besonders sensibel.
Oder befand sich der Arbeiter im Inneren der Kirche?
Als Cherry das Gotteshaus betrat, wirkte es wie ausgestorben. Die Reisetasche war immer noch dort, wo Cherry sie vorhin abgestellt hatte, nämlich im Mittelgang vor dem Altar. Doch jemand musste sich inzwischen an ihrem Gepäck zu schaffen gemacht haben.
Unwillkürlich hielt Cherry den Atem an.
Auf den dunklen Stoff ihrer Reisetasche war mit roter Kreide ein Pentagramm gekritzelt worden. Ein Zacken zeigte nach unten.
Wollte sie jemand verfluchen?
3. KAPITEL
Cherry war verblüfft und geschockt zugleich. Was hatte das zu bedeuten, und wer konnte das getan haben? Etwa der Suffolk-Killer? Waren seine brutalen Morde nichts anderes als irrsinnige Rituale, um dunklen Mächten Menschenopfer zu bringen?
Fragen über Fragen drängten sich auf. Wenigstens gab es keinen Zweifel daran, woher die Kreide stammte. Überall in St. Andrews lag sie in verschiedenen Farben herum. Damit wurden an den Wänden und Stützbalken Abmessungen und Abstände gekennzeichnet. Praktisch jeder konnte sich ein Stück Kreide genommen haben, um Cherrys Reisetasche zu markieren. Und nachdem Mrs Warrens Tochter geschrien hatte, galt alle Aufmerksamkeit nur noch der Leichenhalle. Es war sehr einfach, sich während dieser Zeit unbemerkt in die Kirche zu schleichen.
Aber was sollte das Ganze für einen Sinn haben?
„Träumen Sie, Miss Wynn?“
Cherry zuckte zusammen. Sie war so in ihre Überlegungen versunken gewesen, dass Blackburn sich ihr unbemerkt nähern konnte. Nun stand er stirnrunzelnd neben ihr. Das bedrohliche Zeichen auf ihrer Reisetasche hatte sie mehr durcheinandergebracht, als sie sich eingestehen wollte.
„Sir, ich wollte mein Gepäck holen – und dann habe ich das Pentagramm gesehen!“ Cherry deutete auf das Symbol.
Der Restaurator nickte langsam. „Ja, ein Pentagramm. Was wissen Sie über dieses Zeichen?“
Cherry blinzelte irritiert. Sollte das jetzt eine Prüfung werden? „Das Pentagramm wird zur Geisterbeschwörung verwendet, glaube ich“, antwortete sie.
„Ja, aber nicht nur. Es ist ein uraltes Zeichen, das im alten Ägypten ‚Stern des Isis‘ genannt wurde. Damals sollte es den Schoß der Erde symbolisieren. Im antiken Babylon wurde es als heilendes Amulett getragen. Später wurde es wirklich bei magischen Ritualen verwendet, um sich vor bösen Geistern zu schützen. Wenn ein Zacken nach unten zeigt, gilt es als schwarzmagisches Symbol, so wie dieses hier. Und Sie sind sich sicher, dass Sie es nicht selbst auf Ihre Tasche gemalt haben?“
Cherry riss die Augen auf. Was wollte Blackburn ihr denn unterstellen?
„Warum sollte ich so etwas tun, Sir?“, fragte sie ungläubig.
„Das weiß ich nicht. Vielleicht wollen Sie sich nur interessant machen? Das würde zu dem Bild passen, das ich von Ihnen gewonnen habe. Ihre unpassende Kleidung, Ihre Frechheit. Ich habe den Eindruck, dass Sie Ihr Praktikum nicht sehr ernst nehmen.“
Cherry schenkte ihrem Chef ein zuckersüßes Lächeln, obwohl sie sich fürchterlich über seine herablassende und beleidigende Art aufregte. Aber sie wollte bestimmt nicht in Tränen ausbrechen und fortlaufen. Diesen Gefallen würde sie ihm ganz gewiss nicht tun.
„Genau deshalb wollte ich meine Tasche holen, Sir – um mein Kleid gegen Arbeitsklamotten zu vertauschen. Ich ziehe mich nur kurz in meiner Pension um und komme dann sofort zurück, damit ich mit dem Praktikum beginnen kann.“
Der Restaurator schien enttäuscht zu sein, weil er Cherry immer noch nicht vertreiben konnte.
„Meinetwegen“, knurrte er. „Aber beeilen Sie sich!“
Cherry nahm ihre Reisetasche, bevor sie schnell die Kirche verließ. Sie überlegte kurz, ob sie das Pentagramm dem Inspektor zeigen sollte. Aber dann entschied sie sich dagegen. Es gab keinen Hinweis darauf, dass der Suffolk-Killer mit magischen Symbolen hantierte. Jedenfalls hatte der Kriminalbeamte nichts davon erwähnt. Außerdem konnte sie später immer noch zur Polizei gehen. Wahrscheinlich hatte sich irgendein durchgedrehter Dorftrottel einen dummen Scherz erlaubt.
Der Weg bis zu ihrer Pension war nicht weit. Das Haus von Thelma Miller befand sich nur drei Querstraßen von der Kirche entfernt. Das verwunschen wirkende alte Gebäude mit der efeubewachsenen Fassade gefiel Cherry auf Anhieb. Sie betätigte den Türklopfer aus Bronze.
Gleich darauf wurde ihr von einer alten Dame mit Nickelbrille die Tür
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