Geheimnisse der Lebenskraft Chi
unterwegs, als ich am anderen Ende der Tanzfläche Dr. Chow entdecke. Er tanzt mit seiner Patientin, deren Knie offenbar neue Sprungkraft bekommen haben. Ich verfolge seine Bewegungen, die mir seltsam vertraut vorkommen - bis mir auffällt, dass er einfach meine nachmacht. Und jetzt breitet sich ein breites Grinsen in seinem Gesicht aus, als wollte er zeigen, dass er meine Gedanken kennt. Beim nächsten Song lässt er mein begrenztes Repertoire hinter sich und fegt in seinem ganz eigenen Freistil über die Tanzfläche, während seine Partnerin hinter ihm drein hopst wie ein Pogo-Sprungstab. Dr. Chow ist ein fabelhafter Tänzer, die Aufmerksamkeit des ganzen Saals konzentriert sich immer mehr auf ihn.
Aus unerfindlichen Gründen kommt plötzlich eine Woge von Glück über mich. Etwas Warmes regt sich tief im Bauch, und jetzt steigt die Energie auf, immer höher, bis ins Gesicht. Ein kurzer Blick zu Dr. Chow. Er grinst zu mir herüber. Gut zwanzig Schritte entfernt, schnipst er mit den Fingerspitzen Chi zu mir hin. Schwirrend kommt es bei mir an, ich fühle mich leichter und immer leichter - wenn ich jetzt abhebe, denke ich, würde es mich nicht wundern. Ich denke an die Rabbiner der Legende, die beim Anblick der Bundeslade ihre Füße anbinden mussten, um nicht in den Himmel zu entschweben. Und ich denke an Tibets großen Yogi Milarepa, der auf den Schwingen der Freude durch die Luft sauste. Und an
den mystischen Golfer Shivas Iron in Michael Murphys Golf und Psyche , der vom Außerkraftsetzen der Gravitation sprach.
Jemand stupst mir auf die Schulter, und als ich mich umdrehe, ist Dr. Chow inzwischen herübergetanzt und versetzt mir einen Schlag auf den Rücken, der wie ein Chi-Blitz einschlägt. Er schlägt noch zweimal, und wie heiße Lichtpfeile schießt das Chi in die Tiefe.
Um Mitternacht treten wir ins Freie.Wir sind noch zu einer Nachfeier im Haus der Patientin eingeladen worden.Wir fahren langsam eine Straße in einem Wohngebiet hinunter, und ich frage Dr. Chow, ob er Tanz-Chi-Gong in China gelernt habe. Er sagt, das Tanz-Chi-Gong komme von selbst, wenn man dem Chi freien Lauf lässt. Ich schildere ihm mein Gefühl von Leichtigkeit beim Tanz, und er sagt, dafür gebe es sogar einen Namen, Ching kung. Er freut sich über meine neue Sensibilität und sagt, das sei ein gutes Vorzeichen für die große Prüfung. Bevor ich dieses Thema vertiefen kann, fängt er an, von den Meistern des Ching kung zu erzählen. Sie können auf Eierschalen laufen, sagt er, sogar auf Dachtraufen und Telefonleitungen habe man sie schon gesehen. Kurz nach dem Ende der Kulturrevolution, erzählt er, sei einmal ein Meister von der Telefonleitung geschossen worden, weil man ihn für einen Spion hielt. Darauf kann ich nur antworten, das sei wie aus einem Gongfu (Kungfu)-Film.
Wir stellen den Wagen ein paar Häuser entfernt ab, und Dr. Chow ist jetzt beim Thema der Kampfkünste. Die meisten entwickeln durch Übung gutes Gongfu, sagt er, aber es ist äußeres und nicht inneres Gongfu, und so altern sie früh. Aber die größten Kampfkünstler seien wirklich wie Zauberer. Sie können jemanden anhalten, indem sie einfach Chi auf eine bestimmte Stelle am Körper des Gegners schleudern. Wenn sie
das jedoch zu häufig tun, erschöpfen sie ihre Kräfte. Sogar ein Meister, sagt Dr. Chow, kann sich in bedrohlichem Maße verausgaben, wenn er nicht achtgibt.
Wir gehen auf das Haus zu, und jetzt bleibt er plötzlich stehen, um mir etwas zu erzählen.Vor Jahren habe es in Shanghai einen Chi-Gong-Meister gegeben, der sein Chi bei Demonstrationen an die Zuschauer austeilte. Denen war das Geschenk natürlich hochwillkommen, aber man kann des Guten auch zu viel tun. Dieser Meister, schließt Dr. Chow, habe all sein Chi weggegeben und sei jung gestorben.
Er geht weiter, und zwar ziemlich forsch, sodass ich mich beeilen muss. Er ist doppelt so alt wie ich und doppelt so sportlich. Ich wüsste gern, wie das Austeilen von Chi zum Tod eines Meisters führen kann und frage danach. Dr. Chow geht weiter und betrachtet dabei die Umgebung. Wenn ein Meister sehr viel Chi weggibt, sagt er, muss er schließlich auf sein ursprüngliches Chi zurückgreifen, sein Yuan Chi, mit dem er geboren wurde. Und wenn dieses vorgeburtliche Chi erschöpft ist, stirbt der Mensch. Es sei ungefähr so wie bei manchen, die sich zu Tode arbeiten.
»Aber merkt es ein Chi-Gong-Meister nicht, wenn er an seine Reserven geht?«
»Mit Sicherheit wissen nur traditionelle chinesische
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