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Geheimnisse der Lebenskraft Chi

Titel: Geheimnisse der Lebenskraft Chi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Meech
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eingebildet, die es gar nicht gab?

EIN KRANKENBESUCH
    Vor dem Toronto General Hospital fahre ich an den Straßenrand, um Dr. Chow aussteigen zu lassen, doch er bleibt sitzen.
    »Parken Sie lieber richtig«, sagt er in seiner rollenden tiefen Stimme. »Kommen Sie mit.«
    Soll ich vielleicht beim Heilen helfen? Soll ich ihm zuschauen? Ich würde ihn gern fragen, was er mit mir vorhat, aber er scheint nicht ansprechbar zu sein, und seine beunruhigte Miene macht mir Sorgen. Wir passieren den Schalter, nehmen den Aufzug, dann ein langer Gang.
    »Lässt die Klinik Sie hier praktizieren?«, frage ich.
    »Patient will, dass ich komme.«
    Vor der Tür zum Krankenzimmer hören wir von drinnen eine laute Frauenstimme Beschimpfungen kreischen. Dr. Chow drückt die Tür auf, während das Wettern weitergeht, und wie sich jetzt herausstellt, gehört die Stimme einem Mann. Dieser Mann, völlig abgezehrt und eingesunken in seinem viel zu großen Schlafanzug daliegend, kann kaum noch fünfzig Kilo wiegen. Seine überschnappende Wut gilt zwei Frauen, die all das müde und geistesabwesend über sich ergehen lassen. Als Dr. Chow eintritt, macht der Patient einen sehr verlegenen
Eindruck. Mit plötzlich vollkommen kraftloser Stimme sagt er: »Danke, dass Sie kommen, Dr. Chow.«
    »Wie fühlen Sie sich?«, fragt Dr. Chow leise.
    »Wie ein Millionär!«, schreit der Patient. »Was glauben Sie, weshalb ich Sie rufe?« Dieser Anstrengung ist er nicht mehr gewachsen, und der Husten schüttelt ihn.
    »Nicht laut«, sagt Dr. Chow. »Kräfte sparen.«
    Mühsam dreht der Patient den Kopf zu mir hin, und jetzt lächelt er sogar. Er spitzt den Mund und flötet: »Hab ich’s doch gesagt, dass Sie Dr. Chows Schüler werden. Na, bin ich ein Hellseher?« Jetzt entdecke ich auch seine schwarze Sonnenbrille auf dem Nachtkästchen. Ich lasse mir meine Bestürzung über seinen erschreckenden körperlichen Zustand nicht anmerken und begrüße ihn meinerseits.
    »Und was für ein Hellseher Sie sind, Jerry.« Aber inzwischen hat Jerrys Blick wieder die beiden Frauen in der Ecke gefunden - eine scheint seine Schwester zu sein - und beginnt erneut zu schimpfen, die Stimme immer in ein und derselben Tonhöhe.
    »Still, Jerry«, sagt Dr. Chow, und tatsächlich, er verstummt, der Kopf sinkt ins Kissen zurück.
    »Ich gebe Ihnen Behandlung jetzt«, sagt Dr. Chow. »Schließen Augen.« Die Lider sinken, Jerry atmet mit einem langen Seufzer aus. Dr. Chows Hände beschreiben seltsame Drehbewegungen, und jetzt fingert er in der Luft wie ein Marionettenkünstler. Ein lösendes Wiedererkennen gleitet über Jerrys Züge, und für einen Moment liegt er wie ein hagerer Heiliger in Verzückung da. Die Chi-Behandlung dauert drei Minuten - die längste, die ich je beobachtet habe. Kaum ist Dr. Chow fertig, gehen Jerrys Augen mit einem Ruck auf.

    »Wissen noch, wie man Chi Gong übt?«, fragt Dr. Chow.
    Jerry funkelt ihn an und antwortet ärgerlich: »Ich fühle kein Chi mehr! Wie soll ich es da üben?«
    »Muss üben«, sagt Dr. Chow, es ist ein Befehl. »Das sage ich als Ihr Arzt.« Er nimmt Jerrys Puls und schreibt ein Kräuterrezept auf. Dann wendet er sich Jerrys Schwester zu und sagt, er müsse unbedingt zweimal am Tag diese Arznei einnehmen, wenn es ihm besser gehen solle. Jerry schreit wieder zutiefst empört auf die beiden Frauen ein, und wir verdrücken uns, ohne uns auch nur zu verabschieden. Auf der Schwelle drehe ich mich noch einmal um. Ein Schauer überläuft mich, und es verschlägt mir den Atem.
    Unten in der Nähe des Haupteingangs entdeckt Dr. Chow eine Toilette und entschuldigt sich.Vom Gang aus höre ich, wie er sich immer wieder räuspert. Ich stelle mir vor, dass er alles auszuräuspern versucht, was er durch den energetischen Austausch mit Jerry an Krankem übernommen hat. Schon lange ist mir aufgefallen, dass seine Stimme nach einer Behandlung gern etwas belegt klingt. Man hört ihn dann im Sprechzimmer am Waschbecken ausspeien, und ich habe mir schon manchmal vorgestellt, dass er sich von allem Kranken befreit, das sein Körper möglicherweise übernommen hat.
    Bei der Rückfahrt zur Praxis fällt mir auf, dass Dr. Chows Lebensäußerungen jetzt wieder klar und bestimmt werden und die verausgabte Energie sich wunderbar erneuert. »Hat Jerry Aids?«, frage ich.
    »Das keine chinesische Diagnose. Ist westliche Diagnose.«
    »Kann er sich noch fangen?«
    »Kann.« Urplötzlich fallen ihm die Augen zu wie ein Rollgitter. Ich frage nicht weiter.

    Einen

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