GEHEIMNISSE DER NACHT
Galopp. War er dorthin geflohen?
Sie legte ihre Bücher auf den Tisch und versuchte dann im Dunkeln, das Streichholz anzuzünden und seine Flamme gegen den Docht der Laterne zu halten. Als das Licht aus dem Glas leuchtete, hob sie die Lampe an und drehte sich um.
Der Sarg war noch da. Geschlossen. Leer?
Sie schluckte, sah hinab und wurde dann ganz ruhig. Etwas Dunkelrotes war auf dem Boden vergossen worden. Viel davon, eine Lache bei der Tür, und dann eine Spur, die sich wie ein Teppich ausbreitete, und noch eine Lache neben dem Sarg. Oh Gott, er hatte so viel Blut verloren!
Sie hielt die Lampe in einer zitternden Hand und trat näher, vermied die trocknenden Pfützen, und einen Augenblick lang schaffte sie es, ihren Blick von der stumpfen, staubigen Kiste und dem Blut auf dem Boden zu reißen, um sich nach einem Haken umzusehen, oder … Aus einem der Balken über ihrem Kopf ragte ein uralter Nagel. Man hatte ihn in einem Winkel hochgeschlagen, als wäre er genau zu diesem Zweck angebracht worden. Sie schob den Drahtgriff der Laterne über den Nagel und ließ sie dort hängen. Dann leckte sie sich nervös die Lippen und drehte sich wieder zu dem Sarg um.
War es draußen bereits dunkel? Als sie die Höhle gefunden hatte, war es hell gewesen. Aber das war schon eine Weile her. Vielleicht eine Stunde, in der sie sich langsam in der Höhle vorwärtsgearbeitet hatte. Das müssen etwa sechzig Meter gewesen sein, so lang wie der Rasen hinter dem Haus, und der ganze Weg war wahrscheinlich von Dantes Blut bemalt gewesen. Sie hatte eine ganze Weile gebraucht, bis sie in der völligen Dunkelheit hierhergelangt war, dann hatte sie Zeit damit verbracht, die Tür aufzubekommen. Die eigentlich verschlossen gewesen sein sollte. Wenn Dante gesund wäre, hätte er die verdammte Tür abgeschlossen.
Ihre Hände legten sich um das Holz des Sargdeckels. Sie schloss langsam ihre Augen, atmete tief durch, um sich Mut zu machen, betete, sie würde innen keine leblose Hülle vorfinden, und dann hob sie den Deckel an.
Seine Scharniere quietschten und ächzten vor Rost.
Dante lag darin, vollkommen regungslos, vollkommen weiß. Sein Gesicht, so leblos und doch so real. Blass. „Dante …“ Sie berührte sein Gesicht und zog die Fingerspitzen hastig wieder zurück, als sie spürte, wie kalt seine Haut war. War er tot? War er durch den Pfeil des Jägers in seinem Arm verblutet?
Tränen vernebelten ihren Blick, und sie riss sich von seinem anbetungswürdigen Gesicht los und besah den Rest seines Körpers. Er trug schwarze Seide, die er für Hemden zu bevorzugen schien, und sie bemerkte, dass der linke Ärmel abgerissen war. Sein Arm war nackt bis auf ein Band aus schwarzer Seide, das hoch um den Bizeps gebunden war, fast an der Schulter.
Hatte er die Blutung mit seinem improvisierten Verband stillen können? Würde sie auf dem verblichenen Polster des Sarges Blutflecken finden, wenn sie es näher untersuchte?
Ihr Blick wanderte zurück zu seinem Gesicht. „Oh, Dante, bitte, es muss dir gut gehen. Du musst in Ordnung sein. Ich brauche dich.“ Sie flüsterte die Worte, während sie sein Gesicht in beide Hände nahm und ihren Mund auf seine kalten, starren Lippen presste. Ihre eigenen Tränen würzten den Kuss. Doch er reagierte überhaupt nicht.
Die Worte, die sie in einem seiner Tagebücher gelesen und in ihrem ersten Film verwendet hatte, kamen ihr in den Sinn. Es gab nur wenige Wege, auf die ein Vampir sterben konnte, aber Verbluten war einer davon. Seine Wunde – sie musste während des Tagesschlafs verheilt sein. Es sei denn, er war vorher gestorben.
Sie wendete sich seinem Arm zu und zerrte an der verknoteten Seide, bis sie sich löste, dann wickelte sie den Verband von seinem Arm. Keine Wunde. Getrocknetes Blut, ja, aber kein klaffendes Loch in seinem Fleisch. Sie war verheilt. Die Bücher hatten die Wahrheit darüber gesagt.
Dann mussten sie auch recht haben, wenn sie sagten, dass das verlorene Blut nur auf eine Art ersetzt werden konnte. Er musste es von jemand anderem nehmen.
„Von mir“, flüsterte sie. „Ja, von mir.“ Sie beugte sich wieder dicht an sein Gesicht und strich ihm über sein Haar. „Ich weiß, du wirst mir helfen, Dante. Ich weiß, du wirst das Richtige tun – und mich zu dem machen, was du bist – ehe du mich vergehen und sterben lässt. Ich weiß es einfach. Ich vertraue dir.“ Sie küsste seine Stirn. Dann richtete sie sich auf und tastete mit den Händen seine Jeans ab, suchte in den
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