GEHEIMNISSE DER NACHT
das wäre zu riskant. Sie musste ganz wach sein, damit er richtige Antworten aus ihr herausbekam. Aber dann würde er sie nie wieder davon überzeugen können, dass alles nur ein Traum gewesen war. Also legte er ihr stattdessen die Hände an die Stirn, konzentrierte sich auf ihre Gedanken und begann mit der Erkundung.
Was er fand, war sie selber, schön, gesund, und sie starrte in die Augen eines Mannes – seine Augen. „Ich werde dich nie betrügen, wie Laura Sullivan es getan hat, Dante“, flüsterte sie.
Dann sah er eine Leinwand hinter sich, auf der bewegte Bilder aufflackerten, die seine Geschichte von Neuem erzählten. Er sah die Frau, die er geliebt hatte, die einzige Sterbliche, der er je seine wahre Natur anvertraut hatte. Er sah sie, und sie sah genauso aus wie damals. Sie führte die wütende Meute der Dorfbewohner an, alle mit Fackeln bewaffnet, und sie brüllte. „Er ist ein Untier, sage ich euch. Er hat versucht, mein Blut zu trinken, und mir gestanden, was er ist – und sein Freund Donovan ebenfalls! Wir müssen sie vernichten!“
„Brenne, brenne, brenne“, brüllten die anderen, während sie ihre lodernden Fackeln auf die Burg schleuderten, die er mit Donovan O’Roarke, seinem jungen Zögling, bewohnte.
Die Leinwand wurde schwarz. In ihren Gedanken waren sie wieder nur zu zweit. „Ich weiß bereits, was du bist, Dante. Ich liebe dich trotzdem.“ Sie streckte sich ihm im Traum entgegen und presste ihre Lippen auf seine.
Dante zog sich hastig aus ihren Gedanken zurück und schüttelte sich.
Es stimmte. Sie kannte alle seine Geheimnisse. Alle.
Keith
11. KAPITEL
Bis in den späten Nachmittag schlief sie tief und fest. Aber als Morgan endlich erwachte, tat sie es mit einem Ruck. Ihre Augen öffneten sich weit, und sie setzte sich mit einem Keuchen auf, als hätte sie etwas aus ihrem Schlaf geschreckt.
Da war nichts. Sie blinzelte und drückte die Hand gegen ihre Stirn, um dem Schwindel entgegenzuwirken, der sie immer überkam, wenn sie sich zu schnell aufsetzte oder aufstand oder die Treppe hinaufrannte oder nach tausend anderen Dingen.
Allerdings wurde ihr heute nicht schwindelig. Und während sie so dasaß, bemerkte sie allmählich, wie sie sich fühlte. Sie fühlte sich … besser. Fast gut. Mit einem Stirnrunzeln schlug sie ihre Decke zur Seite und stand auf. Sie überprüfte ihr Gleichgewicht und wartete darauf, dass die Schwäche sie überkam. Sie konnte sich gar nicht erinnern, wie sie letzte Nacht zu Bett gegangen war. Im Grunde erinnerte sie sich nur noch an das Bad, und dann … dann an den Traum.
Sie schloss langsam ihre Augen und ließ ihren Atem durch die Lippen entweichen. Dante. Er war wieder im Traum zu ihr gekommen. Der süße Schmerz, den die Erinnerung mit sich brachte, war kaum zu ertragen. Trotzdem versuchte sie, sich an alle Details zu erinnern. Doch nichts wollte ihr deutlich einfallen. Nur die Erinnerung an seine Stimme, die sie mit ihrer tiefen Samtigkeit getröstet hatte. Seine Hand, die sich auf ihrem Gesicht kühl anfühlte. Seine Nähe. Alles war so wirklich gewesen.
Oh, und sein Geschmack!
Davon hatte sie wirklich geträumt?
Sie verlor den Verstand, so viel war klar. Hatte sich vollkommen verloren im Leben eines Mannes, der gar nicht existierte. Sie lebte seine Geschichten am Tag und träumte von ihm in der Nacht. Mein Gott, sie war eine berühmte Drehbuchautorin. Und doch war es ihr egal. Ihr war alles egal außer ihm, einem Mann, der nicht existierte – der nicht existieren konnte!
Etwas zwang sie dazu, die breiten Türen zu prüfen, die auf den Balkon hinausführten, ehe sie etwas anderes tat. Sie waren verschlossen. Von innen. Natürlich waren sie das. Was hatte sie denn erwartet? Mit einem Seufzen drehte sie sich um und ging ins Badezimmer.
Sie blieb im Türrahmen stehen und starrte die Badewanne an, die immer noch voll Wasser war. „Das ist ja merkwürdig.“ Mehr als merkwürdig, warnte sie eine Stimme in ihrem Kopf. Es sah ihr absolut nicht ähnlich, das Wasser in der Wanne zu lassen. Sie war mit diesem Haus sehr pingelig, und zwar seit sie seinen früheren Besitzer kennengelernt hatte. Für sie war das Haus Dantes Gedenkstein. Sein Andenken. Sein Zeichen. Sie ehrte es.
Wahrscheinlich bloß ein weiterer Schritt auf ihrem Weg zum Nervenzusammenbruch. Und was um Himmels willen hatte sie sich dabei gedacht, den ganzen Tag zu schlafen? Andererseits, beschweren konnte sie sich nicht. So gut, wie sie sich gerade fühlte, konnte sie die
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