GEHEIMNISSE DER NACHT
Jetzt zog sie sie an, setzte die leichte Kapuze auf und versteckte ihre langen Haare darunter. Sie suchte in ihrer Handtasche nach dem Etui ihrer Designersonnenbrille und setzte auch die auf. Dann stellte sie sich hinten in die Reihe.
Plötzlich lief ihr ein Schauer über den Rücken, wie ein kalter Atem in ihrem Nacken, und sie drehte sich schnell um. Aber hinter ihr stand niemand. Allerdings stand jemand auf dem Gehweg, einige Meter entfernt, in der Richtung, aus der sie gekommen war. Ein Mann. Er stand im Schatten, ganz am Ende des Häuserblocks, an der Ecke. Und genau in dem Moment, als sie in seine Richtung sah, glitt er um die Ecke und außer Sichtweite.
Sein Gang … sein Umriss war nichts als eine dunkle Gestalt in der Nacht gewesen. Und doch hatte sie fast geglaubt … Nein. Sie ließ schon wieder ihre Fantasie mit sich durchgehen.
„Miss?“
Sie drehte sich um und merkte, dass sie an der Reihe war, an den Schalter zu treten. „Entschuldigung. Einmal bitte, für Twilight Hunger .“ Sie schob einen Zehner über den Tresen und wartete auf ihr Wechselgeld, das als brandneuer Fünfer zusammen mit ihrem Ticket kam. Weil sie, seit sie hergekommen war, so selten ausging, überraschten die niedrigen Eintrittspreise sie immer noch. Sie schob den Fünfer in ihre Jeanstasche und behielt das Ticket auf dem Weg ins Kino in der Hand.
Sie nahm sich einen der hinteren Sitze und saß ruhig da, während die Vorschauen begannen.
Morgan hatte angenommen, sie wäre die Letzte gewesen, aber ein paar Minuten nach den Vorschauen öffneten sich die Türen noch einmal, und ein weiterer Besucher kam herein. Wieder lief ihr dieser Schauer über den Rücken, und Morgan drehte sich nach ihm um.
Er war bereits auf dem Weg zur anderen Seite des Raumes, aber er nahm ebenso wie sie einen Platz in der hinteren Reihe ein. Er trug einen langen Mantel und hatte den Kragen hochgeschlagen, und auch er trug eine Sonnenbrille, die sein Gesicht verdeckte.
Es war albern von ihr, an Dante zu denken, als sie den Fremden erblickte. Er war nur eine weitere einsame Seele, die gerne unerkannt bleiben wollte. Dante existierte nicht. Der Dante aus den Tagebüchern, der ihren Verstand heimsuchte, hatte niemals existiert. Es gab nur einen leicht gestörten Mann mit einer wilden Fantasie und einer großen sprachlichen Begabung. Der Dante, dessen Leben sich gleich auf der Leinwand entfalten würde, war nur ein fiktiver Charakter. Eine Ausgeburt der Fantasie seines Erschaffers, vielleicht noch von Morgans eigener Fantasie angereichert. Aber er war nicht echt. Und sie musste das endlich in ihren Kopf bekommen. Er war nicht echt.
Nur weil sie diese lebhaften intensiven Träume von ihm hatte …
Und nur weil sie sich in jener Nacht diese Wunden an ihrem Hals eingebildet hatte …
Sie waren da! unterbrach sie ihr Verstand. Ich habe in den Badezimmerspiegel gesehen, und sie waren da!
Aber am Morgen spurlos verschwunden, ermahnte sie sich selbst. Und so lebhaft, wie ihre Träume in letzter Zeit gewesen waren, wie konnte sie sich da so sicher sein, dass diese Wunden nicht auch ein Teil davon gewesen waren?
„Dante ist nicht echt“, flüsterte sie sich selbst zu, „und er sitzt ganz bestimmt nicht hier in diesem dunklen Kino und beobachtet mich dabei, wie ich mir diesen Film ansehe.“
Und warum sank sie dann immer weiter in ihren Sitz, während ihre Geschichte sich vor dem Publikum ausbreitete – und als die Worte auf der Leinwand allen verkündeten, dass sie selbst, Morgan De Silva, sie erfunden hatte?
Keith
12. KAPITEL
Lou bekam einen Anruf, ehe Maxine ihm zeigen konnte, was sich auf der CD befand, und dann gelang es ihm, sie für ein paar Tage zu meiden – verdammt, sie war sich nicht einmal sicher, warum, es sei denn, er stellte selber einige Nachforschungen an.
Sie erwischte ihn endlich, indem sie nach seiner Schicht vor seiner Wohnung auf ihn wartete. Und dann zwang sie ihn, sich hinzusetzen und auf seinen Computer zu starren, während sie die Maus betätigte und ihm die Vampirakten der Organisation zeigte, die sie als DPI kannte.
Als sie fertig waren, sah Lou Maxine an, als hätte sie ihm mit einem Knüppel zwischen die Augen geschlagen. Noch lange, nachdem sie die Datei schon geschlossen und die CD aus dem Laufwerk genommen hatte, starrte er auf den Bildschirm.
„Glaubst du, wenn du diese Ausgeburt von Bill Gates Gehirn lange genug anstarrst, findest du den Weg zurück in die logische Welt, in der alles einen Sinn ergibt?“
Er warf
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