GEHEIMNISSE DER NACHT
brauchen eine Auszeit. Wenn Sie krank werden, helfen Sie Stormy schließlich auch nicht.“
„Wir kommen schon zurecht. Los, geh jetzt zu ihr.“
Lou blickte sie aufmunternd an. „Geh schon, Max. Und lass dir Zeit. Ich warte hier.“
Sie nickte ihm dankbar zu, ging den Gang hinunter, bis zur Tür mit der Nummer 207. Einen Augenblick lang allerdings konnte sie fast nicht hineingehen. Sie stand mit der Hand an der Tür da, drückte sie nicht auf und fragte sich, ob ein wahnwitziger Teil ihres Verstandes glaubte, alles wurde erst wahr, wenn sie es mit eigenen Augen sah. Oder ob sie nur Angst hatte, Stormy würde sterben, während sie im Zimmer war.
Auch egal. Nur Stormy zählte. Das war alles. Sie schluckte ihre Angst hinunter, drückte gegen die Tür und spähte hinein.
Die Person, die da auf dem Bett lag, sah nicht wie Stormy aus, und für einen Moment glaubte Maxine, im falschen Zimmer zu sein. Aber dann schaute sie näher hin. Ja, Stormy war blasser und stiller, als Maxine ihre Freundin je gesehen hatte, und ihr Augenbrauenpiercing war entfernt worden. Ihr kurzes, gebleichtes Haar war verschwunden. Entweder war es unter den dicken Verbänden, die sie trug, verborgen, oder man hatte es abrasiert. Maxine wusste es nicht.
Aber das elfengleiche Gesicht und die feinknochigen Züge gehörten zu ihr. Von ihrem Kopf führten Schläuche zu einem Monitor, von ihrer Brust zu einem weiteren, von ihren Nasenlöchern zu einer Sauerstoffflasche, von ihrem Handgelenk zu einem Tropf, und von irgendwo unter den Laken zu einem Beutel am Fuß des Bettes, über den sie nicht nachdenken wollte.
Die Krankenschwester lächelte Max an. „Tempest, du hast Besuch. Ist das nicht nett?“
„Nennen Sie sie Stormy“, sagte Max fest. „Und sagen Sie das auch den anderen Schwestern. Sie hört nicht einmal auf Tempest, wenn sie bei vollem Bewusstsein ist.“
Die Schwester nickte und stemmte ihre Hände in die Hüften. „Und ich dachte die ganze Zeit, du hast so einen schönen Namen. Ich liebe Tempest!“ Dann zuckte sie mit den Schultern. „Aber Stormy ist ja auch ganz schön.“ Sie beugte sich vor, zog das Bettzeug zurecht und sprach mit Stormy, als wäre sie hellwach und könnte jedes Wort hören.
Maxine mochte die Schwester. Sie mochte ihre Einstellung. Sie mochte den mitfühlenden Ausdruck in ihren Augen. „Ich bin Maxine“, stellte sie sich vor.
„Und, haben Sie auch einen Spitznamen?“
„Mad Max, aber sagen Sie das nicht weiter.“
Die Schwester lachte und klopfte Stormy auf die Schulter. „Hast du das gehört? Mad Max. Mädchen, deine Freunde gefallen mir. Na dann, setzen Sie sich, Mad Max, und ich lasse Ihnen beiden etwas Zeit für sich.“
Während Maxine sich setzte, verließ die Schwester das Zimmer. Das ständige Piepen der Monitore war einschläfernd. Gleichmäßig und fast hypnotisch. „Mann, bei ein paar von den Apparaten sollten wir dringend den Ton abstellen, Stormy. Was meinst du?“ Sie beugte sich vor und nahm Stormys Hand. „Ich bin es, Max. Ich bin hier, und ich weiß, was passiert ist, okay? Ich weiß, Lou war es nicht. Ich will nicht, dass du dir Sorgen deswegen machst.“
Keine Antwort. Sie lag ganz still und leise da.
„Ich weiß, du bist da drinnen, Stormy. Ich weiß, du kannst mich hören.“ Sie sprach lauter und mit festerer Stimme. „Alles ist in Ordnung. Deinen Eltern geht es gut. Mir geht es gut. Und der Mann, der dir das angetan hat, wird dafür bezahlen. Verstehst du?“
Immer noch nichts. Nur das monotone Piepen.
„Du musst dich konzentrieren, Schatz. Deine ganze Energie musst du darauf verwenden, aufzuwachen. Hörst du? Ich will, dass du nur daran denkst. Und du kannst genauso gut wissen, dass ich dich nicht einen Augenblick in Ruhe lasse, bis es so weit ist. Ich bringe dir deine Lieblings-CDs, und es wird immer jemand hier sein und dir deine mehrfach durchstochenen Ohren abkauen, bis du endlich aufwachst. Wir lassen dich nicht alleine. Verstanden?
Das Piepen veränderte sich. Es wurde schneller.
Maxine sah sich nach den Maschinen um, als würde sie davon irgendetwas verstehen. Doch Stormy war von etwas aufgebracht. Was hatte sie gerade gesagt? Wir lassen dich nicht alleine. Sie leckte sich die Lippen. „Alleine sein macht dir Sorgen, was?“
Wieder wurden die Geräusche schneller.
„Niemand lässt dich allein. Ich werde jemanden an deiner Tür abstellen, und jemand anders wird immer hier drinnen bei dir sein, rund um die Uhr. Ich verspreche, hier bist du in Sicherheit.
Weitere Kostenlose Bücher