Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition)
Dummheit« der Alliierten. Niemand wusste besser als die beiden lokalen Nazi-Funktionäre, dass die Schilderungen jeglicher Grundlage entbehrten. Das ungläubige Staunen dauerte nicht lange – dann verband Hofer die irrealen Hirngespinste der Alliierten mit den realen Möglichkeiten der Deutschen. Er zählte eins und eins zusammen und hatte eine geniale Idee, wie man die alliierten Ängste nutzen konnte.
1. Anordnung des sofortigen Baus einer Alpenstellung […]
2. Erklärung des Alpenraums zum Sperrgebiet […]
3. Bevorratung des Alpenraums mit lebenswichtigen Gütern
4. Anlieferung von Maschinen […] zur Weiterführung der Rüstung
5. Einrichtung großer Waffen- und Munitionslager
6. Verlegung von 30000 amerikanischen und britischen Kriegsgefangenen […]
7. Schaffung einer einheitlichen Befehlsgewalt […]
8. Rücknahme der deutschen Streitkräfte in Oberitalien auf die südliche Alpenstellung
9. Abberufung Ribbentrops als Voraussetzung für politische Verhandlungen
Gauleiter Franz Hofer, Memorandum vom 3. November 1944 an Martin Bormann
Am 3. November schickte Hofer ein umfangreiches Memorandum an den Leiter der Parteikanzlei, Martin Bormann. Darin unterbreitete er dem »Führer« einen revolutionären Vorschlag: »Meine dringende Bitte ist, sofort zu befehlen, dass eine Alpen-Festung – im Sinne des aus der Schweiz eingelangten Berichtes über ein Alpen-Réduit – mit dem Einsatz aller Mittel raschest errichtet und entsprechend versorgt wird.« Die alte Frage, was zuerst war, Henne oder Ei, fand hier eine ganz neue nationalsozialistische Antwort: Die Amerikaner befürchteten eine militärische Bedrohung, die erst geschaffen werden sollte, nachdem die Deutschen von den Befürchtungen der Gegner erfahren hatten.
Wir müssen verhandeln. Oder uns mit allen Kräften, die uns noch verblieben sind, in die Alpen zurückziehen. Und hier abwarten, bis Amis und Russen übereinander herfallen.
Franz Hofer am 3. November 1944
Hofer hatte bereits ein umfassendes Programm entwickelt, was geschehen müsse, damit die Alpenfestung möglichst schnell Realität werden konnte. Dabei ging er mit der gewohnten Skrupellosigkeit eines hohen NS -Funktionärs vor. So forderte er die »Verlegung von 30000 amerikanischen und britischen Kriegsgefangenen (möglichst nur Offiziere)«, die als menschliche Schutzschilde dienen sollten. Auch prominente Gefangene, die bisher als »Sonderhäftlinge« im KZ Dachau interniert waren, sollten als Geiseln in die geplante Festung verlegt werden. Darunter waren der ehemalige österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg und Mitglieder der Familie Stauffenberg, die seit dem Hitler-Attentat in Sippenhaft genommen worden waren. Darüber hinaus gab er dem geplanten Verteidigungsbollwerk auch eine politische Dimension. Unter anderem schlug er vor: »Abberufung des Reichsaußenministers von Ribbentrop, um dadurch die Verhandlungen für ein rasch zu beginnendes diplomatisches Gespräch zu schaffen.« Dahinter verbarg sich Hofers Plan B, die »Alpenfestung« sollte auch Faustpfand sein, um in Verhandlungen mit den westlichen Alliierten Zugeständnisse zu bekommen. SS -Obersturmbannführer Dr. Wilhelm Höttl erklärte nach dem Krieg: »Das Bestechende an dem Plan Hofers war, gewissermaßen hinter Festungsmauern sitzend zu verhandeln und zu sagen, was ist es euch wert, wenn wir aufhören.«
Es ist untersagt, die Frage der Evakuierung auch nur von Teilen von Reichsdienststellen überhaupt zur Debatte zu stellen.
Adolf Hitler am 30. Januar 1945
»Dringende Bitte«: Der Tiroler Gauleiter Franz Hofer (Foto von Mai 1944) forderte von Hitler die Einrichtung der »Alpenfestung«.
Ullstein Bild, Berlin (Walter Frentz)
Bormann hielt Hofers Memorandum zunächst unter Verschluss. Dem »Führer« zu diesem Zeitpunkt Rückzug oder Verhandlungen vorzuschlagen galt als Defätismus, und darauf stand der Tod. Der Diktator träumte vom Endsieg oder hoffte darauf, dass die Koalition der Gegner auseinanderbrechen würde. Im November setzten Hitler und seine Vasallen auf den Erfolg einer großen Offensive, die die Wehrmacht im Rahmen der Ardennenschlacht vorbereitete. Ohnehin hielt der »größte Feldherr aller Zeiten« generell nichts von Stellungen, die einen geordneten Rückzug ermöglichten: »Wenn die Truppe von einer rückwärtigen Stellung hört, will sie dorthin zurück. Ihr Kampfeswille wird untergraben. Sie darf gar keine andere Möglichkeit sehen, als vorne zu stehen und zu halten.«
Andere in der
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