Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition)
alliierter Piloten montieren konnten: das deutsche Wunderflugzeug Me-262. Im idyllischen Ötztal war unter größter Geheimhaltung der erste Überschall-Windkanal entstanden. Unter dem Decknamen »Zitteraal« hatten KZ -Häftlinge aus Dachau ein vier Kilometer langes Stollensystem in den Berg hineingetrieben. Hier wurden Raketenteile und Triebwerke des neu entwickelten Düsenjägers Me-262 getestet.
»Weg unter die Erde«: Nach Kriegsende inspizieren US-Spezialisten unterirdische Produktionsstätten der Me-262 in der Nähe des thüringischen Kahla.
Bundesarchiv, Koblenz (Bild141-2738)
»Bergkristall« war die Tarnbezeichnung für ein unterirdisches Flugzeugwerk, das zu einem der modernsten unterirdischen Produktionskomplexe des Großdeutschen Reichs aufgerüstet wurde. In Sankt Georgen mussten Zwangsarbeiter und Häftlinge des KZ Gusen eine deutsche »Wunderwaffe« produzieren. Auf rund 45000 Quadratmetern sollten 10000 Zwangsrekrutierte monatlich bis zu 1250 Me-262-Jagdflugzeuge herstellen – so zumindest die optimistischen Planungen für das Jahr 1945.
Kurzum: Gänzlich aus der Luft gegriffen waren die Meldungen über unterirdische Waffenfabriken nicht. Doch sie waren eben kein Beleg für besondere Aktivitäten zum Aufbau einer »Alpenfestung«. Denn eines fehlte: der Ausbau militärischer Stellungssysteme. Neben der allzu menschlichen Tendenz, Fakten so zu interpretieren, dass sie lieb gewordene Hypothesen bestätigen, und andere Interpretationsmöglichkeiten zu ignorieren, gibt es weitere psychologische Erklärungen:
Da war zum einen die symbolische Bedeutung Bayerns für die NS -Bewegung. In München hatte Hitlers fataler Siegeszug begonnen, auf dem Berghof zelebrierte der »Führer« seine Verbundenheit mit den Alpen. Tatsächlich diente der Obersalzberg bereits im Jahr 1944 immer wieder als »Führerhauptquartier«. Die Vermutung, dass sich Hitler hierher zurückziehen würde, wenn die Lage in Berlin sich verschärfen sollte, lag nahe.
»Blutiger Preis«: Das letzte Aufbäumen der Wehrmacht bei der Ardennenoffensive kam für die Alliierten überraschend. US-Soldaten geraten vor Weihnachten 1944 in Gefangenschaft.
Ullstein Bild, Berlin (Süddeutsche Zeitung Photo)
Eine andere Erklärung liefert einer der Mahner, Major General Kenneth Strong. Im März 1945 schloss er seinen schriftlichen Bericht mit dem resignierenden Hinweis: »Nach den Ardennen wollte ich kein Risiko mehr eingehen.« Die US -Aufklärung hatte im Dezember 1944 die deutsche Offensive unterschätzt und dafür einen blutigen Preis gezahlt. Im Winter 1944 waren drei deutsche Armeen angetreten, die alliierten Kräfte in Belgien und Luxemburg zurückzuschlagen. Zunächst waren durch den Überraschungseffekt tiefe Einbrüche in die Frontlinie der 12. US -Armeegruppe gelungen, dann schlugen die überlegenen Alliierten zurück. Die deutsche Offensive scheiterte. Doch die Fehleinschätzung zu Beginn der »Battle of the Bulge«, wie die größte Landschlacht des Zweiten Weltkrieges mit amerikanischer Beteiligung genannt wurde, kostete rund 20000 GI s das Leben. Einen zweiten Fehler dieser Art wollte sich im alliierten Hauptquartier niemand leisten. Lieber eine Gefahr zu viel beschwören als eine übersehen.
Die Alpenfestung nahm eine so maßlos übertriebene Gestalt an, dass ich mich frage, wie wir so dumm sein konnten, so etwas zu glauben.
General Omar Bradley, Oberbefehlshaber 12. US Armee, nach dem Krieg
So gab General Omar Bradley, Oberbefehlshaber der 12. US -Armee, nach dem Krieg unumwunden zu: »Die Legende einer Festung war eine zu große Gefahr, als dass man sie hätte ignorieren können.« Und selbst ein Skeptiker wie Major General Strong erklärte nach dem Krieg: »Durch eine ungeknackte Alpenfestung könnte der Mythos entstehen, der Nationalsozialismus und die deutsche Nation hätten niemals kapituliert.«
Neue Ziele: Berge statt Berlin
Das Dauerbombardement mit Horrormeldungen über die »Alpenfestung« zeigte Wirkung. Noch im September 1944 hatte Eisenhower dem Feldmarschall Bernard Law Montgomery, dem Oberbefehlshaber der 21. Armeegruppe, versichert: »Das Hauptziel ist selbstverständlich Berlin. Es ist mein Wunsch, auf dem schnellsten Weg auf Berlin vorzustoßen.« Doch als dieser Wunsch im Frühjahr 1945 Wirklichkeit hätte werden können, teilte er seinem britischen Bündnispartner am 1. April lapidar mit: »Sie werden bemerkt haben, dass ich Berlin überhaupt nicht erwähnt habe. Dieser Ort ist für mich nur noch ein
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