Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition)
der die Lunte anzündete und die ganze Welt zur Explosion gebracht hat.
Nassir Ghaemi, amerikanischer Psychiater
Sie alle nährten den Mythos eines schleichenden Intriganten Morell, der als »graue Eminenz« ständig über Hitler wachte und ihn als Agent Stalins und anderer Feindmächte kontrolliert und beherrscht haben soll wie einst Rasputin den letzten russischen Zaren Nikolaus II. Revisionistische Autoren, wie der britische Holocaust-Leugner David Irving, gingen sogar so weit zu behaupten, dass Hitler für seine Verbrechen gar nicht verantwortlich gewesen sei, da er von seinem Leibarzt falsch behandelt und in »euphorische Trancezustände« versetzt worden sei. Was steckt hinter dem Mythos, dass Hitler das Opfer seines Arztes war und diesem hilflos ausgeliefert gewesen sei?
Hitler, der Vegetarier
»Ja, sehen Sie, Doktor, wie gering mein erzieherischer Einfluss auf meine Umgebung ist. Ich als Chef bin der einzige Vegetarier, Nichtraucher und Antialkoholiker. Die Leute würden alle viel mehr leistungsfähig sein, wenn sie ebenso gesund lebten wie ich.« Mit diesen Worten erläuterte Hitler seinem Zahnarzt Hugo Blaschke, warum er sich angeblich dazu entschlossen habe, Vegetarier zu werden. Hitler glaubte, durch den Verzicht auf Fleisch leistungsfähiger zu werden. Auch gegenüber seinem Hals-Nasen-Ohren-Arzt Dr. Erwin Giesing, der ihn nach dem Bombenattentat vom 20. Juli 1944 behandelte, soll sich der Diktator ähnlich geäußert haben. Als Giesing jedoch zu bedenken gab, dass es mit dem Fleisch, Alkohol und Nikotingenuss individuell in der Verträglichkeit doch verschieden sei: Zum Beispiel habe auch Bismarck von allen drei Dingen recht viel genossen und sei bis ins hohe Alter leistungsfähig geblieben, entgegnete Hitler: »Na, dann lass sie weiter Fleisch fressen, rauchen und trinken, hoffentlich wird mal einer von ihnen ein kleiner Bismarck.«
»Vegetarier, Nichtraucher, Antialkoholiker«: Hitler mit Fachinger-Mineralwasser.
Ullstein Bild, Berlin (Roger Viollet)
Über die tatsächlichen Beweggründe Hitlers ist in der Vergangenheit vielfach spekuliert worden. Seinem chirurgischen Begleitarzt Dr. Karl Brandt soll der Diktator einmal anvertraut haben, dass sein Schweiß beim Baden immer so unangenehm riechen würde, wenn er vorher Fleisch gegessen habe. Am häufigsten wurde jedoch der Selbstmord seiner Nichte Geli Raubal angeführt, die sich 1931 in Hitlers Wohnung am Münchner Prinzregentenplatz mit seiner Pistole erschossen hatte. Angeblich hatte ihn der Freitod der Nichte seelisch so aufgewühlt, dass er keine tierischen Produkte mehr zu sich nehmen konnte. Zwar steht fest, dass Gelis Selbstmord Hitler sehr nahegegangen ist, aus medizinischer Sicht spricht jedoch nichts für diese Theorie. Sie wäre lediglich plausibel, wenn Hitlers Nichte in seinem Beisein seziert worden wäre. Der Münchner Gerichtsmediziner Wolfgang Eisenmenger hat den Selbstmord von Hitlers Nichte eingehend untersucht und schreibt dazu: »Geli Raubal wurde nicht seziert. […] Bei eindeutigen Suiziden hat die Polizei und die Staatsanwaltschaft damals keine Sektion beantragt.« Aus diesem Grund war Hitlers Nichte nicht in das Gerichtsmedizinische Institut gebracht worden, und die Nazis mussten später auch keine Akten verschwinden lassen.
Tatsächlich lässt sich der genaue Zeitpunkt für Hitlers freiwilligen Fleischverzicht nicht mehr genau feststellen. Fest steht jedenfalls, dass er zu Beginn seiner politischen Laufbahn noch kein Vegetarier gewesen war. So berichteten sein persönlicher Kammerdiener Heinz Linge und sein Adjutant Julius Schaub, die Hitler über Jahre aus nächster Nähe kannten, dass der Diktator früher »sogar ein starker Fleischfresser« gewesen war, der besonders fettes Schweinefleisch liebte und oft bereits zum Frühstück tierische Produkte zu sich nahm.
Manche Forscher halten den Freitod seiner Nichte Geli Raubal (Mitte, hier auf einem Foto aus dem Jahr 1930) für den Grund von Hitlers Vegetarismus.
BPK, Berlin (Bayerische Staatsbibliothek/Archiv Heinrich Hoffmann)
Der Mediziner Hans-Joachim Neumann und der Historiker Henrik Eberle haben die verschiedensten Aspekte von Adolf Hitlers Gesundheit intensiv erforscht und dazu eine umfassende Studie vorgelegt. Für sie liegt die wesentlich plausiblere Erklärung in dem gesellschaftlichen Umfeld, dem sich Hitler zu Beginn seiner politischen Laufbahn anzupassen begann. So ernährte sich die traditionsbewusste Familie von Richard Wagner halb vegetarisch. Der
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