Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition)
Attentat den »Führer« schwerer mit, als er zunächst gehofft hatte. Hitler am Abend des 20. Juli im Gespräch mit Göring und Mussolini.
Ullstein Bild, Berlin (Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl)
Einen Tag nach dem Attentat zeigte sich jedoch, dass Hitler erheblich schwerer verletzt worden war, als man angenommen hatte. An seinen Händen und Beinen hatten sich große Brandblasen gebildet, und der linke Unterarm war durch innere Blutungen stark angeschwollen. Seine Augen zuckten ständig nach rechts, und in seinem Bunker hatte Hitler das Gefühl, nach rechts umzufallen. Als er am Abend einen kurzen Spaziergang machte, kam er zweimal vom Weg ab, beide Male wieder nach rechts. Der Grund war eine Schädigung der Ohren, die durch die Explosion am stärksten in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Auf dem rechten Ohr war Hitler nahezu vollständig taub und links schwerhörig. Zudem beschwerte er sich über einen ständigen Blutgeschmack im Mund. In der folgenden Nacht begann Hitler aus dem rechten Gehörgang zu bluten und klagte über heftige Ohrenschmerzen. Die Situation war so alarmierend, dass Morell sich genötigt sah, einen Spezialisten anzufordern. Dieser Arzt war der Leiter der HNO -Abteilung im nahe gelegenen Wehrmachtslazarett Karlshof, Stabsarzt Dr. Erwin Giesing. Er behandelte Hitler während der folgenden zweieinhalb Monate.
Kokain für den Kriegsherrn
Im Februar 2011 wurde bei einem amerikanischen Auktionshaus eine Sammlung wertvoller Originaldokumente versteigert, die von Erwin Giesing verfasst worden waren. Neben eigenhändigen Skizzen der Innenansichten von Hitlers Wohnbunker in der Wolfsschanze befand sich darin auch der über hundert Seiten umfassende Originalbericht, den der Arzt am 12. Juni 1945 als Kriegsgefangener für die amerikanische Military Field Intelligence Unit No. 4 erstellt hatte. Der Titel lautet: »Bericht über meine Behandlung bei Hitler«.
Als Giesing zwei Tage nach dem Attentat zur Behandlung Hitlers im Führerhauptquartier eintraf, waren die Sicherheitsvorkehrungen extrem verschärft worden. Der Arzt musste sich einer strengen Leibesvisitation unterziehen, bei der auch seine Instrumente so gründlich untersucht wurden, dass man sogar das kleine Birnchen seiner Untersuchungslampe herausschraubte und inspizierte. Schließlich musste der Arzt Mütze und Dolch ablegen, bevor er zu Hitler vorgelassen wurde. Bei der anschließenden Untersuchung stellte Giesing fest, dass Hitlers Trommelfelle auf beiden Seiten eingerissen waren und sich Blut in den Gehörgängen angesammelt hatte. Um die Blutung zum Stillstand zu bringen und einer drohenden Mittelohrentzündung vorzubeugen, mussten die Ränder der Trommelfelle geätzt werden. Vermutlich um vor seinen Ärzten keine Schwäche zu zeigen, lehnte Hitler eine oberflächliche Betäubung bei dieser ausgesprochen schmerzhaften Behandlung ab: »Ich werde das schon aushalten, ich habe in meinem Leben schon mehr ausgehalten, und so schlimm wird es schon nicht werden.« Als die Prozedur einige Tage später wiederholt werden musste, da die Blutung immer noch nicht zum Stillstand gekommen war, fügte er hinzu: »Ich fühle jetzt schon keine Schmerzen mehr. Der Schmerz ist ja auch dazu da, um einen Menschen hart zu machen.«
Der Arzt Erwin Giesing (hier mit Hitler) behauptete nach dem Krieg, er habe versucht, den Diktator im Herbst 1944 mit einer hochprozentigen Kokainlösung umzubringen.
BPK, Berlin (Bayerische Staatsbibliothek/Archiv Heinrich Hoffmann)
Trotz der vorbeugenden Maßnahmen entwickelte sich bei Hitler in den folgenden Wochen eine hartnäckige und schmerzhafte Mittelohrentzündung, zu der sich noch ein heftiger Schnupfen gesellte, den Hitler von seinem Friseur aufgeschnappt hatte. Die Folge waren Schlaflosigkeit, ziehende Schmerzen und ein Druckgefühl im Kopf, das Hitler noch reizbarer machte. Giesing vermutete eine Entzündung der Stirn- oder Nasennebenhöhlen. Gewissheit konnte nur eine Röntgenaufnahme verschaffen. Am 19. August wurde Hitler mithilfe eines mobilen Apparats im Führerhauptquartier geröntgt. Diese Aufnahmen von Hitlers Schädel haben sich bis heute in den Unterlagen Giesings erhalten. Sie bestätigen die Vermutung des Arztes und zeigen deutlich eine Verschattung der linken Kieferhöhle als Folge der verschleppten Infektion. Um Hitler Erleichterung von seinen Schmerzen zu verschaffen, bestellte der Arzt bei der Berliner Engel-Apotheke, in der sich auch zahlreiche Prominente des Dritten Reichs mit Medikamenten
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