Geheimnisse einer Sommernacht
‚Knickers‘ mit uns Schlagball spielen willst. Stimmt das wirklich? Ich hoffe, dass du ablehnst, denn ich habe meine Zusage von deiner abhängig gemacht.
Liebe Annabelle,
ich glaube fest, dass die Freundschaft mit den Bowman-Schwestern mich von meiner Schüchternheit befreien wird.
Schlagball in Knickers scheint mir dafür genau der richtige Anfang zu sein. Bist du jetzt schockiert? Ich habe noch nie jemanden schockiert, nicht einmal mich selbst! Ich hoffe, dass es dich beeindruckt, mit welcher Offenheit ich mich der Sache zuwende.
Liebe Evie,
beeindruckt, amüsiert und irgendwie ängstlich, in welche Klemme uns diese Bowman-Schwestern bringen. Sag mir bitte einmal, wo wir einen Platz finden sollen, an dem wir unbeobachtet Schlagball in Knickers spielen können? Ja, ich bin absolut schockiert, du schamloses Flittchen.
Liebe Annabelle,
ich bin immer mehr der Ansicht, dass es zwei Arten von Menschen gibt … Solche, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, und solche, die wartend auf dem Stuhl sitzen, während die anderen tanzen. Ich will lieber zur ersteren Gruppe gehören. Und was das Wie und Wo des Schlagballmatches anbelangt, diese Details überlasse ich ganz den Bowmans. Herzlichst Evie, das Flittchen
In der Folge dieser und anderer lustiger Nachrichten, die zwischen den Mädchen hin und her gingen, begann Annabelle wieder etwas zu entdecken, was sie lange entbehrt und schon fast vergessen hatte – wie schön es war, Freunde zu haben. Ihre alten Freundinnen waren bereits alle in den heiligen Stand der Ehe getreten. Sie war allein zurückgeblieben, und ihr Status als Mauerblümchen – gar nicht zu erwähnen ihr fehlendes Geld – hatte eine Kluft geschaffen, die anscheinend keine Freundschaft überbrücken konnte. So war sie in den letzten Jahren zunehmend einsamer geworden und hatte sogar die Gesellschaft jener Mädchen gemieden, mit denen sie früher getuschelt, gekichert und Geheimnisse geteilt hatte.
Und nun hatte sie mit einem Mal drei neue Freundinnen gefunden, mit denen sie trotz ihrer grundverschiedenen Herkunft etwas gemeinsam hatte. Sie alle drei waren junge Frauen mit Wünschen, Träumen und Ängsten. Jede von ihnen kannte zur Genüge den Anblick polierter Herrenschuhe, die auf der Suche nach einem vielversprechenden Opfer an der Stuhlreihe entlangwanderten. Was konnten die Mauerblümchen schon verlieren? Nichts! Nur gewinnen konnten sie, indem sie einander halfen.
„Annabelle, ich habe eine Frage und bitte um eine ehrliche Antwort.“ Annabelle, die gedankenverloren die Schachtel mit den neuen Handschuhen in den Koffer gepackt hatte, blickte auf. Es ist ganz allein meine Schuld, dass Mutter so bekümmert aussieht, schalt Annabelle sich im Stillen, als sie Philippa im Türrahmen stehen sah. Nur weil es ihr immer noch nicht gelungen war, einen passenden Mann zu finden, hatte ihre Mutter das Opfer auf sich genommen, mit Hodgeham zu schlafen. Einerseits fühlte sie Mitleid mit ihrer Mutter, aber andererseits stellte sie auch die etwas unziemliche Frage, wenn Philippa schon so etwas tun musste, weshalb dann nicht als richtige Mätresse? Weshalb nur für so unbedeutende, kleine Beträge, die Hodgeham ihr zukommen ließ?
„Ich bin immer ehrlich zu dir, Mutter“, antwortete sie schließlich.
„Woher kommen diese Kleider?“ Philippa betrachtete ihre Tochter forschend.
„Weshalb siehst du mich so an? Das habe ich dir doch schon erzählt, Mama. Lillian Bowman hat sie mir geschickt“, erklärte Annabelle etwas unwillig.
„Kommen diese Sachen von einem Mann? Etwa von Mr. Hunt?“
Annabelle konnte es kaum fassen. „Glaubst du wirklich, dass ich …? Meine Güte, Mama! Selbst wenn ich wollte, hätte ich nicht die geringste Chance bei ihm. Um Himmels willen, wie kommst du denn nur auf so eine Idee?“
Ihre Mutter ließ sie nicht aus den Augen. „In dieser Saison hast du sehr oft von Mr. Hunt gesprochen – öfter als von irgendeinem anderen Gentleman. Und diese Kleider sind doch offensichtlich recht kostbar …“
„Von ihm sind sie jedenfalls nicht“, erklärte Annabelle mit Nachdruck.
Philippa schien beruhigt, aber sie schaute ihre Tochter weiter bekümmert an. Annabelle, die es nicht gewohnt war, dass man sie so misstrauisch beobachtete, setzte sich einen der neuen Hüte auf und zog ihn tief in die Stirn.
„Wirklich nicht“, wiederholte sie noch einmal gereizt.
Simon Hunts Geliebte …? Mit eisiger Miene betrachtete sie ihr Spiegelbild. Vermutlich hatte ihre
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