Geheimnisse einer Sommernacht
grinsendes Gesicht zu schlagen. „Ich warne Sie, Lord Hodgeham, wenn Sie ihr irgendwie zu nahetreten …“
„Aber liebes Kind, haben Sie etwa gedacht, ich spreche von Philippa? Sie sind allzu bescheiden. Ich spreche von Ihnen, meine liebe Annabelle. Schon lange bewundere ich Sie. Ja, ich sehne mich direkt danach, Ihnen meine Gefühle offenbaren zu dürfen. Und nun bietet das Schicksal uns tatsächlich die schöne Möglichkeit, einander näher kennenzulernen.“
„Eher würde ich in einem Schlangennest schlafen“, wies ihn Annabelle kalt zurück. Doch Hodgeham bemerkte, wie brüchig ihre Stimme war, und lächelte zynisch. „Natürlich, erst werden Sie protestieren. Mädchen Ihrer Sorte protestieren immer erst einmal. Aber dann werden Sie schon vernünftig sein. Sie werden erkennen, wie vorteilhaft es für Sie ist, mich zum Freund zu haben. Ich kann für Sie nämlich sehr wertvoll sein, meine Liebe. Und wenn Sie richtig nett zu mir sind, werde ich Sie auch großzügig belohnen.“
Krampfhaft überlegte Annabelle. Wie konnte sie ihn davon überzeugen, dass er nicht die mindeste Aussicht hatte, sie zur Mätresse zu bekommen. Möglicherweise wurde sie ihn nur los, wenn er Angst bekam, Angst, dass er einem anderen Mann in die Quere kam. Annabelle verzog den Mund zu einem bösen Lächeln. „Sieht es wirklich so aus, als ob ich Ihre sogenannte Freundschaft benötige?“, fragte sie und fingerte dabei demonstrativ an ihrer feinen, neuen Robe. „Sie täuschen sich. Ich habe bereits einen Beschützer, einen weitaus großzügigeren als Sie es sein könnten. Lassen Sie also mich und meine Mutter besser in Ruhe. Sonst bekommen Sie es mit ihm zu tun.“
Anfänglicher Unglaube, gefolgt von Wut, aber schließlich auch Misstrauen spiegelten sich in Hodgehams Mienenspiel wider. „Wer ist es?“, fuhr er sie an.
„Weshalb sollte ich Ihnen denn das wohl erzählen?“, gab Annabelle mit einem kühlen Lächeln zurück. „Sie können ja mal raten.“
„Du lügst, du verschlagenes Flittchen.“
„Ach, glauben Sie doch, was Sie wollen“, antwortete Annabelle leise.
Hodgeham schien sie mit seinen fleischigen Händen packen und die Wahrheit aus ihr herausschütteln zu wollen.
Aber er beherrschte sich und musterte sie mit unterdrückter Wut. „Noch bin ich nicht mit Ihnen fertig!“, zischte er mit Schaum auf den wulstigen Lippen. „Ganz bestimmt nicht!“ Abrupt drehte er sich um und ließ sie stehen, zu zornig, um auch nur ein Mindestmaß an Höflichkeit aufzubringen.
Annabelle stand regungslos da. Langsam wich ihr Zorn und machte einer großen Furcht Platz. Konnte sie sich mit dem, was sie ihm gesagt hatte, Hodgeham wirklich vom Leib halten? Nein. Das war nur eine momentane Lösung.
In den nächsten Tagen würde er sie ständig beobachten, jedes Wort, jede Bewegung von ihr verfolgen, um sich zu vergewissern, ob sie wirklich einen Beschützer hatte. Er würde Drohungen und bissige Bemerkungen von sich geben, um sie nervös zu machen. Aber was auch geschah, sie durfte nicht zulassen, dass er über sein Verhältnis mit ihrer Mutter herumtönte. Philippa würde das nicht überleben. Und sie selbst? Sie wäre erledigt, aller Chancen auf eine Heirat beraubt.
Reglos, aber innerlich hoch gespannt stand sie da, als eine leise Stimme sie aus ihren fiebernden Gedanken riss.
„Wie interessant. Über was haben Sie sich mit Lord Hodgeham denn gestritten?“
Annabelle war so erschrocken, dass sie fast die Balance verlor, als sie sich abrupt umdrehte. Sie wurde bleich.
Simon Hunt! Lautlos wie eine Katze hatte er sich herangeschlichen. Breitschultrig hob er sich gegen das helle, flackernde Licht ab, das hinter ihm aus dem Salon herüberleuchtete. Seine ungeheure Selbstsicherheit machte ihn ihr im Augenblick viel bedrohlicher noch als Hodgeham.
„Was haben Sie mitbekommen?“, fuhr Annabelle ihn an und verfluchte dabei den Tonfall ihrer Frage. Es klang ja, als wollte sie sich rechtfertigen.
„Nichts“, antworte er ruhig. „Ich konnte nur Ihr Gesicht sehen, während Sie sich mit Hodgeham unterhielten. Ganz offensichtlich waren Sie sehr verärgert.“
„Ich war nicht verärgert. Sie interpretieren mein Mienenspiel vollkommen falsch, Mr. Hunt.“
Er schüttelte den Kopf. „Sie bekommen rote Flecke, wenn Sie wütend sind“, meinte er und tippte mit der Fingerspitze leicht auf ihren Arm, auf eine Stelle, die von ihrem langen Handschuh nicht bedeckt war.
Erschrocken trat Anabelle einen Schritt zurück. Sie wusste, dass
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