Geheimnisse einer Sommernacht
hatte fest angenommen, dass Hunt, wie viele andere Junggesellen auch, ein kleines Stadthaus in Londons Innenstadt bewohnte. Umso überraschter war sie, als sie feststellen musste, dass Simon in einer Hotelsuite lebte.
„Wieso nicht?“, hatte er sich denn über ihre Verwunderung amüsiert.
„Nun ja, weil das Leben in einem Hotel wenig Privatsphäre bietet.“
„Da bin ich ganz anderer Ansicht. Ich kann kommen und gehen, wann ich will, ohne dass eine Horde von Bediensteten sich über alle meine Gewohnheiten den Mund zerreißt. Außerdem ist meines Erachtens das Leben in einem gut geführten Hotel wesentlich angenehmer als in einem dunklen, zugigen Stadthaus.“
„Mag ja sein. Aber an der Zahl der Bediensteten misst man doch bei einem Mann in deiner Position seinen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erfolg.“
„Wieso das denn? Bislang war ich immer der Ansicht, man stellt jemanden ein, damit eine Arbeit getan wird.
Personal als modisches Accessoire, dieser Nutzen ist mir bislang entgangen.“
„Als was denn dann, Simon? Etwa als Arbeitssklaven?“
„Wenn man sich die Löhne ansieht, durchaus ein diskussionswürdiger Punkt.“
„Wenn wir einmal ein eigenes Haus haben, werden wir eine Menge Bedienstete einstellen müssen. Es sei denn, du erwartest, dass ich selbst auf Händen und Knien durchs Haus rutsche und Böden scheuere oder Kamine reinige.“
„Die Stellung gefällt mir, Liebling“, erklärte Hunt und dabei entging ihr das verräterische Glänzen in seinen kaffeebraunen Augen. „Aber ich garantiere dir, nicht zum Böden scheuern.“ Leise lachend über ihren erschrockenen Gesichtsausdruck nahm er sie in die Arme und drückte einen kurzen Kuss auf ihre Lippen.
„Simon …, bitte“, wehrte sie sich halbherzig gegen seine Umarmung. „Meine Mutter wäre nicht einverstanden, wenn sie uns so sieht …“
„So? Jetzt bestimmt nicht mehr.“
„Ach, du arroganter …“ Leicht ungehalten hielt Annabelle ihn mit den Händen auf Abstand. „Nein, Simon, ich meine es wirklich ernst. Ich muss das jetzt wissen. Sollen wir ständig im Hotel wohnen, oder willst du doch ein Haus für uns kaufen?“
Lachend über ihre besorgte Miene stahl er sich noch einen Kuss. „Ich kaufe dir jedes Haus, das du haben willst, Liebes. Oder noch besser, ich baue ein neues, denn ich bin mittlerweile zu sehr an gute Beleuchtung und moderne Sanitäranlagen gewöhnt.“
Sofort hielt Annabelle still. „Wirklich? Wo?“
„In Bloomsbury oder Knightsbridge, da könnten wir vermutlich ein entsprechend großes Grundstück finden …“
„Warum nicht Mayfair?“
Simons Lächeln verriet, dass er so einen Vorschlag erwartet hatte. „Willst du etwa in einem so dicht bebauten Viertel wie Grosvenor oder St. James wohnen? Wo du, wenn du aus dem Fenster blickst, nur deinen feudalen aristokratischen Nachbarn in seinem eingezäunten Gärtchen lustwandeln siehst?“
„Oh, ja, das wäre ideal“, schwärmte sie.
„Gut, dein Wunsch sei mir Befehl!“, lachte er. „Wir ziehen nach Mayfair. Und du kannst so viel Bedienstete anheuern, wie du willst. Hast du gehört? Ich habe nicht gesagt, so viel du benötigst. Und in der Zwischenzeit, könntest du dich damit anfreunden, ein paar Monate im Rutledge zu wohnen?“
Während sie sich an diese Unterhaltung mit Simon erinnerte, wanderte Annabelle langsam durch die riesige Zimmerflucht, die luxuriös mit Samt, Leder und glänzenden Mahagonimöbeln ausgestattet war. Im Stillen musste sie zugeben, dass Simon ihre Vorstellungen von einem Hotel zurechtgerückt hatte. Es hieß, dass der mysteriöse Hotelbesitzer, Mr. Harry Rutledge, die elegantesten und modernsten Hotels in Europa besaß, in denen er europäischen Stil und amerikanische Neuerungen miteinander verband. Das Rutledge war ein prächtiger Bau im Theater-Bezirk, fünf Straßenzüge nahm es ein zwischen Capitol Theatre und Embankment. Wegen seiner besonderen Annehmlichkeiten wie Brandschutz, Speiseaufzügen, Badezimmer in jeder Suite und natürlich ein ausgezeichnetes Restaurant war das Rutledge zur bevorzugten Bleibe für reiche Amerikaner und Europäer geworden. Zu Annabelles Freude bewohnten die Bowmans fünf der hundert eleganten Hotelsuiten. Nach ihrer Hochzeitsreise wäre es also sicherlich nicht schwer, sich mit Lillian und Daisy zu treffen.
Annabelle, die England noch nie verlassen hatte, war natürlich ganz begeistert, dass Simon mit ihr zwei Wochen nach Paris fahren wollte. Die Bowman-Schwestern, die schon mit
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