Geheimnisse einer Sommernacht
er sie mit sich fortziehen wollte. „Du brauchst keine Sicherheit. Glaubst du etwa, ich würde mein Versprechen brechen?“
„Um ehrlich zu sein: ja.“ Unbeirrt begann Hunt, sie wieder mit sich zu ziehen. „Also, wohin sollen wir gehen? Am besten in die Eingangshalle. Dort werden die meisten Zeugen sein, wenn ich dich verführe. Oder vielleicht das Spielzimmer …“
„Simon“, protestierte Annabelle. „Simon …“
Plötzlich blieb er stehen, drehte sich um und blickte sie ein wenig verwirrt an. „Ja, meine Süße?“
„Um Himmels willen, Hunt“, murmelte Westcliff. „Wenn du sie unbedingt haben willst, dann erspare uns wenigstens dieses Schmierentheater. Wenn dir so viel daran liegt, dann bestätige ich vor jedermann gern die beschmutzte Ehre deiner Verlobten. Aber im Haus will ich Ruhe haben. Und erwarte nicht, dass ich zur Hochzeit komme. Ich bin nämlich kein Heuchler.“
„Nur ein Idiot“, sagte Lillian leise.
Westcliff schien es dennoch gehört zu haben. Sein dunkler Kopf fuhr herum. Ein wütender Blick begegnete Lillians bewusst unschuldigem Mienenspiel. „Und Sie …“
„Dann sind wir uns ja alle einig“, unterbrach ihn Hunt, um eine weitere endlose Diskussion zu verhindern. Mit männlichem Besitzerstolz blickte er zu Annabelle. „Du bist also genügend kompromittiert. Dann komm, lass uns deine Mutter suchen.“
Der Earl schüttelte den Kopf. Er trug eine derart frostige Miene zur Schau, wie sie nur ein Aristokrat aufbringen konnte, dessen Wünschen man soeben nicht nachgekommen war. „Welchem vernünftigen Mann liegt so sehr daran, einer Mutter zu. beichten, dass er gerade ihre Tochter verführt hat?“, fragte er gereizt.
20. KAPITEL
Philippa nahm die Nachricht von Annabelles Verlobung mit erstaunlicher Gelassenheit auf. Sie wurde nur ein wenig blass, als Simon ihr im Privatsalon der Marsdens erzählte, wie es zu dem Verlöbnis gekommen war.
Nachdem er seinen kurzen Bericht beendet hatte, sah sie ihn eine Weile schweigend an. „Da Annabelles Vater tot ist, habe ich die Aufgabe, Mr. Hunt, Ihnen gewisse Fragen zu stellen. Wie jede Mutter wünsche auch ich mir, dass meine Tochter mit Respekt und Zuneigung behandelt wird. Sie werden mir wohl recht geben, dass die Umstände …“
„Ich verstehe“, unterbrach Hunt sie ruhig. „Ich gebe Ihnen mein Wort, dass Ihre Tochter keinen Grund zur Klage haben wird.“
Annabelle biss sich auf die Lippen, als sie das kurze, wachsame Aufflackern in den Augen ihrer Mutter sah. Sie wusste genau, was nun kam. „Vermutlich ist Ihnen bereits bekannt, Mr. Hunt, dass Annabelle keine Mitgift hat“, fuhr Philippa leise fort.
„Ja“, antwortete Simon.
„Das stört Sie nicht?“, fragte sie leicht verwundert.
„Überhaupt nicht. Glücklicherweise bin ich in der Lage, bei der Wahl einer Ehefrau auf finanzielle Gesichtspunkte verzichten zu können. Mich stört es nicht, wenn Annabelle ohne einen Schilling zu mir kommt. Im Gegenteil, was Schulden, das Bezahlen von Rechnungen, Schulgeld für Ihren Sohn und dergleichen angeht, denke ich, in Zukunft für Ihre Familie vieles leichter zu machen.“
Annabelle sah, wie ihre Mutter die Hände im Schoß zusammenpresste, bis die Knöchel weiß wurden. Philippas Stimme bebte vor Aufregung, Erleichterung oder Verlegenheit, vielleicht war es aber auch von jedem etwas.
„Danke, Mr. Hunt. Sie können mir glauben, wenn Mr. Peyton noch unter uns weilte, wäre vieles anders …“
„Ja, ich verstehe.“
Eine Weile herrschte nachdenkliche Stille, bevor Philippa erneut begann: „Ohne Mitgift hat Annabelle leider auch keine Quelle für ein Nadelgeld …“
„Ich werde ihr ein Konto bei Barings einrichten“, sagte Simon ohne Zögern. „Fünftausend Pfund für den Anfang?
Von Zeit zu Zeit, wenn nötig, werde ich das Konto natürlich auffüllen. Selbstverständlich werde ich auch für die Kutsche und Pferde, für Garderobe, Schmuck aufkommen, und selbstverständlich hat Annabelle Kredit in allen Geschäften Londons.“
Philippas Reaktion auf diese Nachricht entging Annabelle völlig. Fünftausend Pfund zu ihrer alleinigen Verfügung? Unvorstellbar. Staunen mischte sich mit Vorfreude. Nach all den entbehrungsreichen Jahren sollte sie wieder die besten Schneiderinnen aufsuchen dürfen, ein Pferd für Jeremy, für ihr Elternhaus die luxuriösesten Möbel und Vorhänge kaufen können? Doch etwas trübte ihre Freude. Diese ungeschminkte Diskussion über Geld direkt nach dem Heiratsantrag gab ihr das
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