Geheimnisse einer Sommernacht
beunruhigende Gefühl, sich verkauft zu haben. Vorsichtig sah sie zu Simon und bemerkte den ihr mittlerweile vertrauten spöttischen Glanz in seinen Augen. Er versteht mich nur allzu gut, dachte sie und merkte, dass ihre Wangen unwillkürlich anfingen zu glühen.
Schweigend hörte Annabelle zu, als sich anschließend die Unterhaltung um Anwälte, Verträge und Klauseln drehte.
Mit der Zähigkeit eines Bullterriers handelte ihre Mutter die verschiedenen Bedingungen der Heirat aus. Sehr sachlich und wenig romantisch war das Gespräch. Und es entging Annabelle auch nicht, dass ihre Mutter Hunt nicht einmal gefragt hatte, ob er ihre Tochter liebe, und auch Simon hatte nie von Liebe gesprochen.
Nachdem Simon Hunt gegangen war, folgte Annabelle ihrer Mutter aufs Zimmer. Leise schloss sie die Tür und überlegte, was sie sagen sollte. Philippa war seltsam stumm. War sie vielleicht doch nicht ganz einverstanden mit Simon Hunt als Schwiegersohn …?
Philippa ging zum Fenster. Eine ganze Weile blickte sie still hinaus in den Nachthimmel. Dann hörte Annabelle ein leises Schluchzen. „Mama …“, sagte sie erschrocken. „Es tut mir leid, ich …“
„Gott sei Lob und Dank“, flüsterte Philippa mit bebender Stimme. „Gott sei Lob und Dank.“
Obwohl Lord Westcliff geschworen hatte, nicht zu Simons Hochzeit zu kommen, erschien er doch zwei Wochen später dazu in London. Grimmig, aber doch höflich, bot er sich sogar als Brautführer an, war bereit, Annabelle in Vertretung ihres verstorbenen Vaters zum Altar zu führen. Zunächst wollte sie strikt ablehnen, doch Philippa war so glücklich über das Angebot, dass Annabelle sich gezwungen sah zuzustimmen. Und schließlich machte es ihr sogar Freude, den Earl in eine bedeutsame Rolle einer Zeremonie einzubinden, die er ganz offensichtlich nicht guthieß. Nur aus Loyalität zu Hunt war er nach London gekommen und zeigte damit eine Verbundenheit, die weitaus stärker war als Annabelle vermutet hatte.
Auch Lillian, Daisy und ihre Mutter wohnten der kirchlichen Trauung bei. Ihre Anwesenheit hatte Annabelle nur Lord Westcliff zu verdanken, denn Mrs. Bowman hätte ihren Töchtern niemals erlaubt, an der Hochzeit eines Mädchens teilzunehmen, das außerhalb des Adels heiratete und obendrein noch einen absolut schlechten Einfluss auf ihre Kinder ausübte. Aber schließlich galt es, keine Gelegenheit zu verpassen, die Nähe des attraktivsten Junggesellen Englands zu suchen. Die Tatsache, dass Lord Westcliff ihre jüngste Tochter gar nicht wahrnahm und die ältere regelrecht verschmähte, betrachtete Mrs. Bowman als ein Hindernis von so geringer Bedeutung, dass es sich mit Sicherheit überwinden ließ.
Evie war von Tante Florence und der Familie ihrer Mutter die Teilnahme leider verboten worden. Aber sie hatte Annabelle einen langen, gefühlvollen Brief geschrieben und ihr als Hochzeitsgeschenk ein mit rosa und goldenen Rosen bemaltes Teeservice aus französischem Sevres-Porzellan geschickt. Der Rest der kleinen Gesellschaft bestand aus Hunts Eltern und seinen Geschwistern. Seine Familie war mehr oder weniger so, wie es Annabelle erwartete hatte. Seine Mutter hatte eine füllige Figur und grobe Gesichtszüge, war aber eine freundliche Frau, die Annabelle zunächst einmal unvoreingenommen entgegenkam. Sein Vater war ein großer, breitschultriger Mann, der während der ganzen Zeremonie kein einziges Mal lächelte, obwohl die tiefen Lachfalten um die Augen eigentlich anzeigten, dass er normalerweise ein fröhlicher Mensch sein musste. Obwohl die beiden Eltern nicht sonderlich gut aussahen, hatten sie fünf auffallend hübsche Kinder, allesamt groß und schwarzhaarig.
Nur Jeremy war nicht auf der Hochzeit. Annabelle und Philippa hatten entschieden, dass er sein Semester in der Schule beenden und erst nach London kommen sollte, wenn Annabelle und Hunt von ihrer Hochzeitsreise zurückkehrten. Annabelle wusste nicht recht, wie Jeremy auf Simon Hunt als Schwager reagieren würde. Zwar mochte Jeremy Simon, aber andererseits war der Junge seit Langem gewohnt, das einzige männliche Familienmitglied zu sein. Möglicherweise widersetzte er sich Hunts Anweisungen im Ernstfall. Selbst Annabelle war nicht besonders wohl bei dem Gedanken, sich in Zukunft den Wünschen eines Mannes zu fügen, den sie, wenn sie ehrlich war, gar nicht so besonders gut kannte.
Das wurde ihr in der Hochzeitsnacht erst richtig klar, als sie in einem Zimmer des Rutledge-Hotels auf ihren Bräutigam wartete. Sie
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