Geheimnisse einer Sommernacht
ihrer Mutter in Paris gewesen waren, hatten Annabelle eine lange Liste von Schneiderinnen, Hutmacherinnen und Parfümeurs gegeben. Sie freute sich unheimlich auf ihren ersten Besuch in der Stadt der Lichter. Allerdings lag vor der Abreise morgen früh noch die Hochzeitsnacht.
In ihrem Neglige mit üppigen weißen Spitzenrüschen an Armen und am Leibchen wanderte Annabelle rastlos durch die Suite. Dann setzte sie sich neben das Bett und nahm eine Haarbürste vom Nachttisch. Während sie begann, sich energisch das Haar zu bürsten, und sich fragte, ob alle Bräute diese Angst verspürten und sich genauso unsicher fühlten bei den Gedanken, was in den nächsten Stunden auf sie zukam – ob sie sich fürchten oder freuen sollte –, da wurde plötzlich der Schlüssel im Schloss umgedreht und eine dunkle, schlanke Gestalt betrat das Schlafzimmer. Simon.
Ein nervöses Kribbeln lief Annabelle über den Rücken. Sie. zwang sich, mit ruhigen Strichen weiter ihr Haar zu bürsten, obwohl ihr die Hände zitterten. Simon hatte noch seinen schwarzen Anzug an, den er bei der Hochzeitsfeier getragen hatte. Sein Blick wanderte über die Stoffwolke von Spitzen und Musselin, die den Körper seiner Frau bedeckte. Reglos blieb Annabelle auf ihrem Stuhl sitzen, als er langsam auf sie zukam. Zu ihrer Überraschung ging er vor ihr in die Hocke, sodass er mit ihr auf Augenhöhe war. Seine Schenkel berührten ihre schlanken Waden. Er strich ihr durch das glänzende, offene Haar und sah fasziniert zu, wie die goldbraunen Strähnen durch seine Finger glitten.
Eigentlich war Simons Äußeres makellos, nur die kurzen Locken in der Stirn und der gelöste Knoten der silbergrauen Krawatte fielen Annabelle auf. Sie ließ die Haarbürste zu Boden fallen und strich ihm schüchtern mit den Fingern über das dichte glänzende Haar. Ganz still hielt er, während sie ihm die Krawatte abnahm. Die schwere Seide war warm von seiner Haut. Der Blick, mit dem er sie dabei beobachtete, bewirkte ein Prickeln in ihrer Magengegend.
„Jedes Mal, wenn ich dich ansehe, habe ich das Gefühl, du bist schöner als vorher“, raunte er.
Annabelle lächelte scheu und fuhr ein wenig zurück, als er ihre Hände nahm. Er verzog leicht den Mund und sah sie forschend an. „Aufgeregt?“
Annabelle nickte und hielt still, während er sanft ihre Hände streichelte. „Liebling“, begann er zögernd, als müsse er seine Worte sehr sorgfältig wählen. „Deine Erfahrungen mit Lord Hodgeham waren sicherlich nicht sehr angenehm. Aber ich hoffe, du wirst mir glauben, dass es nicht immer so sein muss. Was auch immer du befürchtest …“
„Simon“, unterbrach sie ihn mit einem ängstlichen Krächzen und räusperte sich. „Es ist sehr lieb von dir, dass du bereit bist, so viel Verständnis aufzubringen … Ja, dafür danke ich dir. Aber …, aber wahrscheinlich war ich etwas zurückhaltend, was meine Beziehung zu Hodgeham anbetrifft.“ Hunt sah sie ernst an. Annabelle holte tief Luft und fuhr fort: „Es stimmt, dass Hodgeham des Abends manchmal zu uns ins Haus kam, er beglich auch einige unserer Rechnungen als Gegenleistung für …, für …“ Sie schluckte, hatte einen Kloß im Hals und brachte die Worte einfach nicht heraus. „Aber …“, versuchte sie es noch einmal, „ich war nicht diejenige, die er besucht hat.“
Simon sah sie verständnislos an. „Was?“
„Ich habe nie mit ihm geschlafen. Er hatte ein Verhältnis mit meiner Mutter“, gestand sie.
Einen Moment lang starrte er sie sprachlos an. „Oh, verdammt“, flüsterte er dann.
„Es begann vor Jahren“, versuchte sie zu erklären. „Unsere Lage war verzweifelt. Die unbezahlten Rechnungen häuften sich, wir konnten sie nicht mehr bezahlen, all unsere Mittel waren aufgebraucht. Die Zinsen aus dem Kapital meiner Mutter waren nur noch gering, denn es war schlecht angelegt. Lord Hodgeham war schon eine Zeit lang hinter meiner Mutter her, genau weiß ich nicht, wann seine abendlichen Besuche begannen. Irgendwann sah ich seinen Zylinder und seinen Stock zu später Stunde im Korridor liegen. Plötzlich waren einige offene Rechnungen bezahlt. Ich konnte mir vorstellen, was geschehen war. Allerdings habe ich nie darüber gesprochen. Es wäre wohl besser gewesen.“ Seufzend strich sie sich über die Schläfen. „In Stony Cross erklärte Hodgeham mir dann, dass er meiner Mutter überdrüssig sei und ich ihren Platz einnehmen sollte. Er drohte, alles herauszuposaunen, mit Ausschmückungen, wie er
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