Geheimnisvoll und unwiderstehlich
leuchtete der azurblaue Himmel Italiens.
Wie wunderschön ihre Mutter aussah!
Das elfenbeinfarbene Seidenkleid war von ihrer Großmutter entworfen worden und mit zahlreichen Perlen und Pailletten bestickt. Daran hatten die Näherinnen des Modehauses Fiorini bestimmt wochenlang gearbeitet. Allein für das Oberteil hatten sie drei Wochen gebraucht, es war ein eindrucksvolles Beispiel für exklusive Schneiderkunst. Auch ihr Vater sah gut aus, er trug seinen besten Anzug, maßgefertigte Schuhe und eine Krawatte zum weißen Hemd. Sie waren beide noch so jung und voller Hoffnung auf ein glückliches, langes Leben.
Mimi sah sich im Schlafzimmer ihrer Eltern um – dem einzigen Raum, den sie als Kind nicht hatte betreten dürfen. Dies war ihr behütetes Heiligtum gewesen. Der Duft nach Lavendel, der das Zimmer erfüllte, brachte die Erinnerung an die beiden sofort zurück.
Natürlich hatte sich alles geändert, als ihre Mutter krank geworden war. Wie oft hatte Mimi hier auf der Bettkante gesessen und mit ihrer Mutter gescherzt und gelacht, bis die dunklen Schatten verschwunden waren.
Doch jetzt kam ihr der Raum völlig überfüllt vor – vollgestopft mit Erinnerungen und Andenken. Der Schrank quoll geradezu über von Kleidern, Schuhen und Hüten. Ihre Mutter hatte diesen Luxus geliebt, für sie hatte er zum Leben dazugehört, und dies war ein weiterer Grund dafür, dass Mimi sie so sehr geliebt hatte.
Sie richtete sich auf, ging hinüber zu der großen Wäschetruhe aus Zedernholz und zog die oberste Schublade auf. Da war es – das kostbare Hochzeitskleid ihrer Mutter, wohlverstaut in einem Seidensack. Mimi zog den Reißverschluss auf und strich wehmütig über die kostbare Stickerei. Es war der Traum ihrer Mutter gewesen, sie eines Tages als Braut in diesem Kleid zu sehen. Doch leider war ihr das nicht vergönnt gewesen.
Noch immer verströmte das Kleid den Lieblingsduft ihrer Mutter – den Duft von Gardenien. Mimi hatte plötzlich Tränen in den Augen. Sie zog die unterste Schublade auf, in der sich die Schachtel mit den passenden weißen Schuhen und die langen Handschuhe befanden. Ganz hinten lag eine zweite Schachtel. Vorsichtig nahm Mimi sie heraus und öffnete sie. Der Anblick der Abendtasche aus dunkellila Samt rührte sie an. Sie knipste den Verschluss auf. Dann hielt sie das Prunkstück in der Hand: eine dreireihige Kette wertvoller Perlen mit einem Verschluss aus Platin, der von einem bedeutenden Juwelier angefertigt worden war.
Wie oft waren sie versucht gewesen, die Perlenkette zu verkaufen, um sich finanzielle Erleichterung zu verschaffen. Aber diese Perlen sollte Mimi an ihrem Hochzeitstag tragen, und das war wichtiger für ihre Mutter, als das Dach reparieren zu lassen.
Aber heute, das wusste Mimi ganz genau, musste sie etwas tragen, das sie an ihre Mutter erinnerte. Sie spürte, dass sie bei ihr sein würde – das würde sich nie verändern –, aber die Perlenkette würde auch ein materielles Band zwischen ihnen sein. Nicht zwischen ihr und den Fiorinis, sondern zwischen ihr und der Frau, die alles für den Mann aufgegeben hatte, den sie liebte, und die Tochter, der sie so viel gegeben hatte.
Bevor ihre Tränen sie zu überwältigen drohten, ging Mimi mit den Perlen zum Spiegel und legte die Kette an.
Der Effekt war umwerfend. So wurde also aus einfacher Mode Haute Couture: indem man alltägliche Kleidung wie ein T-Shirt oder einen Pulli mit echtem Schmuck kombinierte! Das war ihr immer klar gewesen, aber erst jetzt verstand sie es richtig.
Sie würde die Perlen ihrer Mutter zum ersten Mal tragen – als perfektes Accessoire zu dem perfekten Abendkleid aus ihrer Kollektion.
Genau, wie es eine richtige Designerin machen würde.
Mimi ließ sich wieder aufs Bett fallen und betrachtete die beiden Kleiderschränke im Zimmer, die voll mit den exklusivsten Kleidern europäischer Couturiers waren. Die herrlichsten Prunkstücke stammten dabei aus dem Modehaus Fiorini, das für seine königlichen Roben berühmt war.
Als Mimi diese Meisterwerke der Schneiderkunst betrachtete, kamen ihr plötzlich Zweifel.
Eine richtige Designerin.
War sie das denn überhaupt? Plötzlich verschwand ihr ganzes Selbstbewusstsein, das sie sich in den letzten Tagen mühsam erarbeitet hatte. Sie kam sich wie eine Betrügerin vor. Wie jemand, der vorgab, etwas zu sein, was er gar nicht war.
Mimi rang nach Luft.
Wem wollte sie eigentlich etwas vormachen?
Egal, was sie heute Abend tragen würde, sie wusste schon
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