Geheimnisvoll Vertrauter Fremder - Historical Bd 274
Er war so verschlossen, so distanziert. Wie konnte sie nur so naiv gewesen sein, sich in ihn zu verlieben?
Aber nein, natürlich war sie nicht in ihn verliebt. Er hatte sie nur vor einem schrecklichen Schicksal bewahrt – und sie war ihm dafür dankbar. Ja, das war alles. Sie war ihm dankbar, und sie mochte ihn. Es war normal, ihn zu mögen, denn sie schuldete ihm sehr viel. Aber sie liebte ihn nicht. Sie musste daran denken, wer und was er war: ein kalter, schroffer Mann, der seinen Lebensunterhalt im Kampf verdiente.
Nein, so einen Mann könnte sie nie lieben.
6. KAPITEL
Warum hatte das Schiff seine Geschwindigkeit gedrosselt? Kathryn trat zum Bullauge und blickte hinaus. Ihr Herz schlug wie wild, und sie fragte sich, ob sie angegriffen wurden. Sie war erleichtert, als sie erkannte, dass sie nur gestoppt hatten, damit Lorenzo an Bord kommen konnte. Es war ein kompliziertes Manöver, aber sie sah, wie er sich mit einer Leichtigkeit über die Takelage schwang, die sie nur bewundern konnte. Er strahlte Autorität aus, wirkte stark und selbstsicher. Seine Führungsqualität zeigte sich an der Art, wie seine Männer ihn begrüßten. Einen Augenblick lang verlor sie sich in Bewunderung.
Kathryn setzte sich hin und wartete. Ihr Puls raste. Einige Minuten verstrichen, bevor er an ihre Kabinentür klopfte und eintrat. Sie erschrak, als sie seinen ernsten Gesichtsausdruck bemerkte. Ihre Knie wurden weich, und sie zitterte am ganzen Körper. Aus welchem Grund blickte er sie so an?
„Kathryn …“ Sie glaubte, sie hatte ihn noch nie so emotional sprechen hören, außer vielleicht einen Augenblick lang auf dem Berghang in Spanien. „Ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten. Die Türken haben Zypern angegriffen. Es heißt, Nikosia sei gefallen.“
„Angegriffen?“ Kathryn blickte ihn erschrocken an. „Aber Lady Mary und Lord Mountfitchet …?“ Sie war aufgestanden, als er eingetreten war, aber jetzt setzte sie sich von Angst überwältigt auf die Bettkante.
„Wir müssen darauf hoffen, dass es ihnen irgendwie gelungen ist zu entkommen“, antwortete Lorenzo. „Oder dass wir mit einem Lösegeld ihre sichere Rückkehr erkaufen können. Manchmal ist das der Fall, besonders bei Menschen, die keine guten Sklaven abgeben würden.“
„Weil sie nicht jung und schön sind – oder nicht stark genug, um auf einer Galeere zu arbeiten?“ Kathryns Kehle war wie zugeschnürt, und sie spürte, wie ihr bei dem Gedanken, dass die Menschen, die sie liebte, Gefangene der Türken waren, Tränen aufstiegen. „Das ist schrecklich. Wie konnte so etwas nur geschehen? Ich dachte, Zypern gehört zu Venedig?“
„Das tut es auch“, bestätigte Lorenzo, wobei er kaum seine Wut unterdrücken konnte. „Wir haben die Forderung der Türken, ihnen die Insel zu überlassen, abgelehnt. Es war von einem Angriff auszugehen, was ich auch Eurem Onkel mitteilte. Aber ich hatte angenommen, dass es bis dahin noch einige Monate dauern würde. Wie es jetzt scheint, hat die Eroberung bereits stattgefunden. Das bedeutet, dass der Papst die Kräfte der Heiligen Liga sofort sammeln muss. Ich muss nach Rom, Kathryn, und Ihr müsst mich begleiten. Ihr werdet dort auf mich warten, bis ich weiß, wie die Dinge stehen.“
Kathryn konnte jetzt wieder klarer denken. Wäre sie mit Lady Mary und Lord Mountfitchet gereist, so wäre auch sie während der Invasion auf Zypern gewesen. Sie hätte jetzt tot sein können oder in türkischer Gefangenschaft, wäre in einem Harem gelandet. Doch am meisten erschütterte sie das ungewisse Dasein ihrer Freunde.
„Ich habe Euch nichts als Ärger gebracht“, sagte sie und war kurz davor, in Tränen auszubrechen. „Ich muss Euer Angebot annehmen, Sir, denn ich weiß nicht, was ich sonst tun könnte.“
„Es gibt nichts, was Ihr machen könnt“, erwiderte er. Seine Worte wirkten harsch, auch sein Tonfall. „Es scheint, als hätte das Schicksal Euch in meine Obhut gegeben – und wir müssen nun das Beste daraus machen. Ich muss Euch bitten, auf meine Galeere zu wechseln, denn dieses Schiff wird nach Venedig zurückkehren. Ich muss meine Kriegskapitäne zusammenrufen, und ein Handelsschiff wäre bei der Aufgabe, die uns jetzt bevorsteht, nur von geringem Nutzen.“
„Wäre es nicht besser, wenn ich auf diesem Boot bliebe und nach Venedig zurückkehre?“
„Nein, das glaube ich nicht. Ich kann es mir ganz sicher nicht erlauben, Euch eine Eskorte mitzuschicken, und in diesen unsteten Zeiten kann alles
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