Geheimnisvoll wie der Orient
und sie betrachtete die unter ihr vorbeigleitende Landschaft.
Zunächst glaubte sie, es gäbe nicht viel zu sehen außer eintönigem Sand. Doch dann wurde sie von der sich ständig verändernden weißgelben Dünenlandschaft in ihren Bann gezogen. Eine Dünenkette folgte auf die nächste. Dazwischen, in einem sandigen Tal, erkannte sie Hütten, die unter Akazien an einem kleinen Teich erbaut worden waren. Gleich daneben in einer geschützten Mulde befand sich ein aus Gestrüpp errichteter Pferch mit Ziegen, die sich von den spärlich wachsenden Gräsern zu ernähren schienen.
Wenig später überflogen sie ein Tal, das von einem ausgetrockneten Flusslauf durchzogen wurde. Auch hier lebten Menschen, wie sie an den Zelten erkannte, die vereinzelt im Wadi standen. Nach einem Wolkenbruch würde hier für kurze Zeit ein gluckernder Strom entstehen.
In dunstiger Ferne erkannte sie eine Hügelkette. Vermutlich nahm das ausgetrocknete Flussbett hier seinen Anfang. Nach den Regenfällen im Frühling würde die Wüste in einem schmalen Streifen links und rechts des Wadi zum Leben erwachen und sich als grünes Band durch das Land ziehen.
Molly wusste nicht, wie lange das ungemütliche Schweigen zwischen Tair und ihr angehalten und sie wortlos und staunend aus dem Fenster geblickt hatte, bis sie ihn rufen hörte: „Schnallen Sie sich bitte an. Wir landen gleich.“
Sie folge der Aufforderung. Es hatte keinen Sinn, sich aufzulehnen und zu rebellieren. Sie musste sich eine Strategie zurechtlegen. Ich kann nur hoffen, dass meine Brüder mein Verschwinden so lange wie möglich vor Vater geheim halten, dachte sie.
„Die Landung kann ein bisschen holperig werden.“
Das war die übliche Untertreibung. Als sie dann später aus dem Fenster blickte und sah, wo sie sich befanden, wunderte Molly sich, dass die Maschine die Landung überhaupt überstanden hatte.
Ähnlich wie bei ihrem Abflug gab es auch hier keinen Flughafen mit Landebahn. Sie befanden sich mitten in der Wüste. Nicht einmal eine Piste war zu sehen, nur ein paar breite Spur-rillen.
Ihr Plan, direkt nach der Landung um Hilfe zu rufen, war damit hinfällig. Tair schlenderte so entspannt durch den Innenraum des Flugzeugs, dass sie vor Frustration am liebsten geschrien hätte.
Sie riss sich zusammen. Es war besser, ihn in Sicherheit zu wiegen. Sollte er doch glauben, sie hätte sich in ihr Schicksal gefügt und aufgegeben.
„So, da wären wir. Ich bin froh, dass Sie sichberuhigt haben und zur Besinnung gelangt sind.“
Sie fing das weiße Stück Stoff auf, das er ihr zuwarf.
„Ziehen Sie das an!“
Ohne abzuwarten, ob sie seinen Worten Folge leisten würde, wandte er sich um und ging zurück ins Cockpit. Als er kurz darauf wieder auftauchte, trug er die traditionelle weiße Kopfbedeckung der Wüste, und Molly spürte ein erregtes Prickeln. Der Turban betonte Tairs hohe Wangenknochen und seine perfekten Gesichtszüge. Sie spürte mit aller Deutlichkeit, dass unter der dünnen Schicht von Zivilisation und Kultur bei diesem Mann eine animalische, eine unbezwingbare Energie und Ausstrahlung lag, von der sie magnetisch angezogen war.
„Sind Sie so weit?“ Er beobachtete, wie sie mit steifen Fingern den Sicherheitsgurt löste und sich erhob.
Obgleich sie starr zu Boden schaute, spürte Molly seine körperliche Nähe. Als sie an ihm vorbeigehen wollte und dabei seinem Blick begegnete, geriet sie ins Stolpern. Tair umfasste ihren Arm und sagte etwas in seiner Sprache, das nicht sehr freundlich klang.
Eine Sekunde später, als sie wieder zu Atem kam, lag sie an seiner breiten Brust.
„Geht es wieder?“
Sie versuchte, sich zusammenzureißen und gegen die Lähmung, die sie überkam, anzukämpfen. Sie konnte nicht einfach so an ihn gelehnt stehen bleiben, auch wenn es ihrem geheimsten Wunsch entsprach.
Er hatte den Arm um sie gelegt. Nicht zu fest und ohne ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken, doch eng genug, dass sie deutlich seine Wärme und seinen maskulinen Duft wahrnahm.
Tief durchatmend zwang sie sich, einen kleinen Schritt zurückzutreten. Tair legte ihr die Hände auf die Schultern und sah sie an.
„Ist wirklich alles in Ordnung?“
Molly nickte, auch wenn sie sich unbehaglich fühlte.
„Dann sage ich Ihnen jetzt, wie es weitergeht.“
„Ich weiß genau, wie es weitergeht“, sagte sie schroff, schüttelte seine Hände ab, versetzte ihm einen Tritt und rannte, so schnell sie konnte, an ihm vorbei zur offenen Tür.
Sie hatte die Öffnung noch
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