Geheimnisvoll wie der Orient
erwarten Sie auch noch von mir, dass ich auf einem Kamel reite. Mir reicht es jetzt endgültig!“ Damit ließ sie sich auf den Boden sinken und kreuzte die Beine zum Schneidersitz.
Die beiden Männer sahen Tair fragend an. Er sagte etwas auf Arabisch zu ihnen, was sie zum Lächeln brachte.
„Was haben Sie gesagt?“
„Dass Sie normalerweise lammfromm sind, heute aber einen schlechten Tag haben.“
Sie warf ihm einen empörten Blick zu und stieß einen kurzen Schrei aus, als einer der Männer sie ohne Umschweife hochhob, auf das Kamel setzte und das Tier vorwärtstrieb.
„Das machen Sie prima“, sagte Tair, der inzwischen ebenfalls aufgestiegen war.
„Sparen Sie sich das Lob. Wenn ich herunterfalle und mir das Genick breche, haben Sie mich auf dem Gewissen.“
„Sie fallen nicht runter. Sie sind ein Naturtalent.“
Sie warf ihm einen mörderischen Blick zu. Doch Tair grinste nur und trieb sein Kamel an, sodass Molly nichts anderes übrig blieb, als sich festzuhalten und ihm zu folgen. Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befanden und was ihrnoch alles bevorstehen würde. Um sie herum gab es keine Anhaltspunkte, nichts als Sand, einige Grasbüschel und Dornsträucher.
Entweder kannten die Kamele den Weg nach Hause, oder Tair besaß so etwas wie einen eingebauten Kompass.
Schließlich erreichten sie den Kamm einer Sanddüne und blickten hinab auf die vor ihnen liegende Oase und das Zeltlager.
Molly stockte der Atem. Nach dem eintönigen Ritt war die Farbenpracht eine Wohltat für das Auge.
Die Zelte standen unter Palmen, deren Wedel sich in der leichten Abendbrise wiegten. Die Stimmen der versammelten Menschen stiegen zu ihnen auf. Sie trugen Brennmaterial für die Feuer zusammen, die sie in der Dämmerung entzünden würden.
Obgleich sie durstig, müde und verschwitzt war und noch immer eine enorme Wut auf Tair hatte, konnte Molly sich dem Zauber der Oase nicht entziehen.
„Es ist wunderschön hier.“ Dann wurde ihr bewusst, dass Tair sie beobachtete, und sie fügte gereizt hinzu: „Vermutlich wird mir niemand helfen, wenn ich erkläre, dass Sie mich entführt haben?“
„Wollen Sie denn, dass man Ihnen hilft?“
Erzürnt drehte sie sich zu ihm um und hätte dabei beinahe das Gleichgewicht verloren. „Glauben Sie im Ernst, Sie können mir Ihre Gesellschaft aufzwingen, und ich würde sie auch noch genießen, nur weil sie gut aussehen?“
Am liebsten hätte sie sich auf die Zunge gebissen, aber die Worte waren schon heraus.
Seine Augen blitzten belustigt auf. „Gut aussehend hat mich noch niemand genannt. Aber ich bin natürlich froh, dass ich Ihnen gefalle, kleine Engländerin. Wenn ich es nicht besser wüsste, dann könnte ich glauben …“ Sie blickte starr geradeaus und tat so, als sei sie im Grunde gar nicht anwesend. Noch einmal lasse ich mich von ihm nicht aus der Reserve locken, dachte sie.
Er legte den Kopf leicht zur Seite und musterte sie so intensiv, dass Molly es schließlich nicht mehr aushielt und ihn anfuhr: „Was könnten Sie glauben?“
„Dass Ihnen dieses Abenteuer Spaß macht.“
Ihre Reaktion auf die absurde Unterstellung war spontan und heftig. „Wenn Sie das wirklich für möglich halten, dann sind Sie verrückt.“
Ohne zu antworten, gab er dem Kamel einen aufmunternden Klaps auf die Kruppe und ritt die Düne hinab zum Lager. Dort wurde er lautstark begrüßt.
Mollys Kamel verfiel nun in eine schnellere Gangart, sodass sie vollauf damit beschäftigt war, sich festzuhalten, und alles andere vergaß.
Offenbar waren sie erwartet worden. Molly beobachtete aus einiger Entfernung, wie die Menschen sich um Tair versammelten und ihn respektvoll begrüßten.
Plötzlich ertönte ein Ruf, und ihr Wüstenschiff ließ sich auf die Knie nieder, sodass sie absteigen konnte.
Als sie endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, wollte sie sich bei dem Mann bedanken, der es ihr ermöglicht hatte, ihren schmerzenden Körper aus dem Sattel zu hieven. Da verschlug es ihr die Sprache.
Falls es sich nicht um Zwillingsbrüder handelte, stand sie vor demselben Mann, der ihnen zwei Stunden zuvor die Tiere übergeben hatte. Zwei Stunden, in denen sie geschwitzt, gelitten und sich den Po wund geritten hatte. Sie vermutete, dass sich die wahren Schmerzen noch einstellen würden, wenn erst das Gefühl der Betäubung gewichen war.
In einiger Entfernung sah sie einen nagelneuen Geländewagen, was ihren Verdacht erhärtete. Tair war ein Monster! Sie raffte den Stoff ihres
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