Geheimnisvoll wie der Orient
überzeugt. Nachdem sie aber mit ihren Schwestern gesprochen hatte, musste sie zugeben, dass ihr Vater nicht ganz unrecht hatte. Inzwischen dachte sie natürlich anders. Wäre ich sofort abgereist, säße ich jetzt nicht mit diesem Irren hier im Flugzeug.
Sie atmete tief durch, legte Tair die Hand auf den Arm und blickte ihm fest in die Augen. „Schauen Sie mich an. Sehe ich aus wie eine Lügnerin?“
„Fangen Sie jetzt nicht wieder damit an“, antwortete er gelangweilt.
„Verstehen Sie denn nicht? Wenn mein Vater von dieser Entführung erfährt …“ Verzweifelt ballte sie die Hände zu Fäusten und bemühte sich, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. „Es wird ihn umbringen. Er wartet auf einen Operationstermin und darf sich nicht aufregen.“
„Ihre Fantasie kennt wirklich keine Grenzen. Sehe ich aus, als würde ich auf diese rührselige Geschichte hereinfallen?“
„Das alles ist die reine Zeitverschwendung.“ Frustriert starrte sie ihn an. „Wenn meinem Vater etwas zustößt, dann tragen Sie die Verantwortung dafür, und ich werde Sie zur Rechenschaft ziehen, und wenn es das Letzte ist, was ich tue.“
Abrupt wandte sie sich ab und sah nicht mehr den Ausdruck des Zweifels, der kurz über sein Gesicht huschte.
„Es wird nichts geschehen, was Ihren Vater beunruhigen könnte. Sie sind nicht verschwunden. Als wohlmeinende Freundin wollten sie Beatrice in ihrer gegenwärtigen Situation nicht länger zur Last fallen. Sie haben eine kurze schriftliche Nachricht zurückgelassen.“
Molly schloss die Augen. Nur zu gut konnte sie sich Tariqs Miene vorstellen, wenn er diesen Brief las. Sie lachte kurz auf.
„Sie werden doch nicht schon wieder hysterisch, oder?“
Sie warf ihm einen wütenden Blick zu. „Und warum habe ich das meiner Freundin nicht persönlich mitgeteilt?“
„Weil Sie eine peinliche Szene vermeiden wollten. Sie haben stattdessen die Einladung eines Mannes angenommen, den sie erst kürzlich kennengelernt haben.“ Als er sie aufschluchzen hörte, fühlte er sich einen Moment lang schuldig. Lass dich nicht von dieser Frau manipulieren!
„Haben Sie überhaupt einen Vater?“, fragte er schroff.
„Natürlich, und ich habe Brüder … Tariq …“
„Ist vermutlich Ihr Bruder“, beendete er den Satz.
Erleichtert ließ sie die Schultern sinken. „Ja, aber es ist nicht offiziell bekannt, und ich möchte auch nicht, dass es sich herumspricht.“
„Das kann ich mir gut vorstellen.“ Grinsend musterte er ihr Gesicht. „Jetzt haben Sie mich aber enttäuscht.“
„Enttäuscht?“ Warum habe ich nicht von Anfang an die Wahrheit gesagt? Dann würde ich mich jetzt nicht in dieser unmöglichen Situation befinden?
“Lassen Sie mich Ihnen einen Rat geben. Lügen sollten glaubwürdig klingen. Die Geschichte mit dem herzkranken Vater war wesentlich überzeugender.“
Entsetzt starrte sie ihn an.
„Aber es stimmt!“ Noch während sie sprach, wusste sie, dass sie keine Chance hatte. Sie hatte den falschen Zeitpunkt gewählt, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Sie musste es trotzdem versuchen. „Tariq ist mein Bruder, und er wird nach mir suchen. Dann wird es Ihnen leidtun.“ Sie brauchte ihre ganze Willenskraft, um nicht in Tränen auszubrechen.
„Ich glaube nicht, dass Sie Tariq so wichtig sind“, meinte er abfällig. „Er wird sich denken, dass ich Ihnen ein besseres Angebot gemacht habe und Sie deshalb bei mir sind.“
„Er wird kommen.“ Sie blickte starr geradeaus.
„Ich habe keine Ahnung, ob Sie sich tatsächlich einbilden, in ihn verliebt zu sein, oder ob das Ganze nur als harmloser Flirt geplant war, der dann plötzlich zu weit ging. Und ehrlich gesagt will ich es auch gar nicht wissen.“ Trotz seines vorgeblichen Desinteresses dachte er weiter laut nach: „War es ein Gefühl der Rache? Wollten Sie es Beatrice heimzahlen, dass Sie so viele Jahre lang in ihrem Schatten gestanden haben und keiner sich für Sie interessiert hat?“
Sie merkte, wie sein Blick auf ihren Brüsten ruhte. „Sie scheinen durchaus Augen für mich zu haben.“
Ihre genaue Beobachtung machte ihn ärgerlich. „Ist es Ihnen nie in den Sinn gekommen, dass Sie andere Menschen mit Ihrem Verhalten verletzen?“
„Ist es Ihnen nie in den Sinn gekommen, dass Sie mit allem, was Sie sagen, vollkommen falschliegen?“
6. KAPITEL
Es gab nichts mehr zu sagen. Molly wandte sich ab und ging nach hinten in den Passagierbereich, wo sie sich an eines der Fenster setzte. Sie flogen nicht sehr hoch,
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