Geheimnisvolle Beruehrung
auch, was Glück hieß.
Eventuell lag es an diesem Gedanken, dass schlafende Neuronenbahnen in ihm geweckt wurden und er zum ersten Mal seit sieben Jahren nicht von Blut und Gewalt träumte, sondern von dem Tag, als ein Mädchen mit dunkelblauen Augen sein Leben veränderte.
Er saß regungslos neben Santano, die Füße auf dem Boden und den Blick starr nach vorn gerichtet. Schnell hatte sein Blick das Büro von Anthony Kyriakus erfasst, vor allem die beiden Türen und die großen Fenster, durch die Sonnenlicht auf seine Beine fiel.
Im abgelegenen Ausbildungszentrum, in dem er lebte, gab es keine solchen Fenster, die eigentlich eine breite Fläche für Angriffe boten, doch die Architektur hatte durchaus ihre Vorteile. Der größte war der ungehinderte Blick auf das Haupttor zum weitläufigen Gelände, auf dem die meisten Angehörigen des NightStar-Clans wohnten.
In den Berichten, die Santano Kaleb als Teil des politischen Unterrichts gegeben hatte, wurde eine »starke Loyalität innerhalb der Familie« als Charakteristikum der NightStars erwähnt. Kaleb hatte keine Familie und deshalb das Konzept der Loyalität beim ersten Lesen nicht verstanden – doch dann hatte er nachgeforscht und herausgefunden, dass eine Verbindung zu jemandem gemeint war, dem es nicht egal war, ob er lebte oder starb, der für ihn und mit ihm kämpfte, der ihm nicht wehtun wollte.
Nichts davon hatte er selbst je erlebt.
»Sollen wir anfangen?«, fragte Santano Anthony und legte ein Datenpad auf den Tisch. »Ich habe Kopien der relevanten Akten dabei.«
»Moment noch.« Anthony sah ein kleines Mädchen an, das mit gefalteten Händen im Türrahmen stand. »Sahara, bitte führe doch Kaleb herum.«
Kaleb rührte sich nicht, obwohl Anthony ihm durch ein Kopfnicken die Erlaubnis erteilte. Er wusste, dass Santano ihm keine Kontakte außerhalb seiner Kontrolle gestattete. Um zu begreifen, dass dies ein Teil der Strategie war, ihn zu brechen und willenlos zu machen, brauchte Kaleb nicht erst erwachsen werden. Denn aus demselben Grund hatte Santano nur Minuten vor der Teleportation auf das NightStar-Gelände einen großen Teil der Haut auf Kalebs Rücken verbrannt.
Es hatte furchtbar wehgetan – das tat es immer noch, doch Kaleb hatte keinen Laut von sich gegeben und vollkommen teilnahmslos seinen Peiniger angeblickt. Schon lange hatte er gelernt, nicht mehr zu reagieren, denn das brachte das Hässliche im Ratsherrn Santano Enrique nur noch mehr zum Vorschein, obwohl niemand sonst das Hässliche zu sehen schien.
»Das Kind«, sagte der Kardinalmediale, als würde er über ein Möbelstück sprechen, »ist viel zu jung, um Kaleb Anregungen bieten zu können, die seinen Interessen entsprechen. Er sollte lieber bei uns bleiben.«
Kaleb erwartete, dass Anthony nachgab. Das taten alle. Santano war Ratsherr, und Anthony nur das Oberhaupt einer Familie.
Doch Anthony sagte mit fester Stimme und ebenso festem Blick: »Ich spreche nicht in Anwesenheit von Kindern über Geschäfte. Wir können ein neues Treffen im nächsten Monat vereinbaren, um über die Vorhersagen zu sprechen, die Ihre Firma braucht.«
Doch Santano erhob sich nicht, sondern legte die Fingerspitzen aneinander und wandte sich an Kaleb. »Geh. Und benimm dich.« Ein Zug an der Leine um Kalebs Geist, damit er über Santanos Perversionen schwieg.
Kaleb ignorierte den zusätzlichen Schmerz und ging mit dem Mädchen namens Sahara zur Tür hinaus. Bei den Hydrokulturen sagte sie plötzlich: »Mein Vater ist M-Medialer«, sagte sie. »Wir können zu ihm gehen.«
Kaleb erstarrte. »Warum?«
Ihr Blick war besorgt, den Ausdruck erkannte er wieder. »In seinem Büro stehen interessante Scanner.« Natürlich war das ein Trick, um ihn zur Krankenstation zu bringen.
»So etwas kenne ich schon.« Die Antwort kam von der Zwinge um sein Bewusstsein.
Sahara sah ihn forschend an. »Okay«, sagte sie und ging weiter.
Erst zehn Minuten später bemerkte er, dass sie langsamer ging und mindestens eine Wegschleife ausgelassen hatte … weil sie wusste, dass er verletzt war. Niemand hatte ihm je geholfen, und er wusste nicht, warum sie es tat und was sie sich davon versprach.
»Im Teich sind Fische«, sagte sie am Ende der Tour. »Willst du sie sehen?«
Kaleb nickte, um die Rückkehr ins Büro noch aufzuschieben … und mehr Zeit mit dem Mädchen zu verbringen, das sah, dass er Schmerzen litt, obwohl es niemand sonst bemerkte. »Warum hat man ihn angelegt?«, fragte er, als sie den großen, mit
Weitere Kostenlose Bücher