Geheimnisvolle Beruehrung
die Hosenbeine hoch und watete ins flache Wasser. Mit jeder Welle, die sich an ihren Beinen brach, wurde sie ruhiger. Nach einiger Zeit hatte sie eine Entscheidung gefällt. Sie setzte sich neben Kaleb in den warmen Sand und achtete darauf, dass sich ihre Körper an keiner Stelle berührten.
Das Eis um Kaleb war nicht unzerstörbar, das hatten die Ereignisse bewiesen. Wenn es wieder zerbrach, würde sie mitgerissen werden. Trotz aller Vernunft musste sie eines akzeptieren: Die heftige Anziehung, die Kaleb auf sie ausübte, war in keiner Weise beherrschbar. Jedenfalls nicht, solange die Vergangenheit noch so im Dunkel lag.
»Ich möchte dich um etwas bitten«, sagte sie leise. »Doch vorher muss ich noch erfahren, was im Augenblick im Medialnet geschieht.« Es war ungemein wichtig, dass sie wusste, was dort vor sich ging, ehe sie sich wieder ins Netz begab.
Kaleb war darauf vorbereitet gewesen, mit den Nachwirkungen seines Kontrollverlustes umzugehen, mit dieser Bitte hatte er allerdings nicht gerechnet. Doch er dachte nicht einmal daran, Sahara vor der Wahrheit abzuschirmen. Zweifellos war sie stark genug, hatte sieben Jahre in Gefangenschaft überlebt und davor die schrecklichen Folterungen eines bestialischen Mörders und seines Lehrlings.
»Das Medialnet wird von zwei Seiten bedroht«, sagte er, während in seinem Kopf Bilder von einem Messer auftauchten, dessen Klinge in die weiche Haut einer Frau schnitt. »Die Makellosen Medialen sind die offenen Angreifer, doch auf lange Sicht viel gefährlicher ist eine schleichende Krankheit, die das Netz befällt und absterben lässt.«
Er beschrieb, was dabei genau passierte, und fügte dann hinzu: »Bei einem Medialen führt die Krankheit zu geistigem Verfall, gewalttätigen Ausbrüchen und schließlich zum Tod.«
Auf ihrem Gesicht spiegelten sich die unterschiedlichsten Empfindungen. »Das sind wir«, sagte sie und traf wie immer den Nagel auf den Kopf. »Das Medialnet besteht aus uns, und wir sind im Kern gebrochen.« Tiefe Trauer in mitternachtsblauen Augen. »Wenn es das ganze Netz betrifft, müsste es sich untergründig auch in nicht infizierten Teilen zeigen.«
Sofort hatte sie begriffen, was anderen, die es hätten besser wissen sollen, nicht einmal in Monaten aufgefallen war. »Manche werden wieder unschuldig wie Kinder, während andere so verrückt werden, dass ihre Taten in Zukunft allen Wahnsinn und selbst die Serienmorde in den Schatten stellen werden, die Silentium als einzige Hoffnung haben erscheinen lassen.«
Sahara schlang die Arme um ihre Knie. »Das ist schlimm, doch noch schlimmer ist der Schaden durch die Infektion in der Struktur des Medialnet.«
Kaleb sagte nichts, seine Aufmerksamkeit wurde vom Duft ihres Haars in Anspruch genommen, das vom Wind durcheinandergewirbelt wurde.
»Wenn genügend Schwachpunkte entstehen«, flüsterte Sahara, »zerspringt das Medialnet und bricht zusammen. Dann sterben wir alle.«
»Es wird weder zerspringen noch zusammenbrechen.« Denn sonst würde auch Sahara sterben, und das würde er nicht zulassen. »Ich habe die Kraft, es zusammenzuhalten.«
Sahara wusste inzwischen, was Kaleb antrieb. »Du willst die totale Kontrolle.« Das hätte sie erschrecken sollen – Kaleb war ein Geschöpf der Finsternis, ihm konnte man nicht das Schicksal eines Volks anvertrauen. Doch seine unermesslichen Kräfte waren nicht zu übersehen. Er konnte der Einzige sein, der ihr Volk vor dem Tag der Abrechnung bewahrte, der mit jeder Infektion, mit jedem toten Stück Medialnet näher rückte. »Was wirst du damit anfangen?«
»Das ist noch nicht entschieden«
Kalter Schweiß brach ihr aus, plötzlich bekam die Erklärung, dass sie ihm gehöre, einen ganz anderen Sinn als der einer privaten Obsession, die sie beide unter schwarzes Eis ziehen konnte. »Deshalb willst du mich also?«, fragte sie. Der Schmerz war einfach überwältigend. »Du weiß, was ich tun kann.«
Kaleb starrte aufs Wasser. »Ich habe es immer gewusst.« Schon in dem Kind hatte er das unermessliche Potenzial erkannt. »Aber ich werde dich weder benutzen noch dir wehtun.« Das hatte er ihr schon vor langer Zeit versprochen … sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, hatte aber ihr eigenes Versprechen gehalten.
Sahara verstand nicht, welche Macht sie besaß, welche Reiche er für sie zerstören würde und wie viel Blut vergießen. Sie sah nur die Bestie, zu der er geworden war. »Ich würde dir nie wehtun.« Jeder Mann besaß einen wunden Punkt – seine
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