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Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Titel: Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Hooper
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sie in beinahe aggressivem Ton.
    Die andere Frau stutzte und überlegte, was sie wohl Falsches gesagt haben mochte. Schließlich nicktesie steif mit dem Kopf. »Dann wünsche ich Ihnen noch einen guten Tag.«
    »Guten Tag«, erwiderte Mrs   Robinson, ihren barschen Ton gegenüber der Frau bereuend. Trotzdem, wie ärgerlich, dass die Leute auch ständig so ein Aufhebens um Äußerlichkeiten machen mussten, und ob er nun mehr Stanley oder ihr ähnelte, wo sie das doch wirklich nicht das Geringste anging! Sie wusste, was Stanley dazu sagen würde – dass die Leute sich nichts groß dabei dachten, sondern einfach nur freundlich sein wollten. Sie musste wirklich versuchen, sich das immer wieder in Erinnerung zu rufen und sich nicht aufzuregen   …

BEDENKE, BETRACHTER, DER DU DIES LIEST,
    WIE RASCH ALLES IRDISCHE VERFLIE SST,
    UND SEI BEREIT, WENN DER HERR DICH RUFT,
    GAR PLÖTZLICH LIEGST AUCH DU IN DER GRUFT.
    Grabinschrift

Kapitel 15
    Vier Wochen später stand Grace, zitternd in ihrem Kleid und Mantel aus schwarzem Kreppstoff, vor einer imposanten Kirche mitten in London. Das Wetter wurde jetzt zunehmend kälter, und Krepp – der angesagteste Stoff für Trauerbekleidung, sowohl bei den Angehörigen als auch für die Leichenbegleiter – erwies sich als schlechte Wahl unter solchen Bedingungen, da er den Wind nicht abhielt und obendrein bei der geringsten Feuchtigkeit in der Luft am Körper zu kleben begann.
    Grace und das Mädchen, mit dem zusammen sie eingeteilt war, Jane, standen rechts und links vom Kirchenportal und sahen mit ihren schwarzen Schleiern und Stäben mit herabhängenden Trauerfloren aus wieein Zwillingspaar von Todesboten. Sie waren von der Familie des Verstorbenen gebucht worden, um sechs Stunden lang mit einem Ausdruck herzzerreißenden Schmerzes vor dem Portal Wache zu halten, bis der Trauerzug eintraf und die eigentliche Beerdigung begann. So harrten sie bereits seit sieben Uhr morgens aus.
    Es stand eine große, prunkvolle Beerdigung an. Die Familie von Cedric Welland-Scropes, dem Verstorbenen, besaß ein Mausoleum auf dem Kirchengelände, in dem bis zu zwanzig Familienmitglieder Platz finden konnten, und so waren zwei Zeremonien geplant: eine in der Kirche und eine weitere am Grab des Verstorbenen am anderen Ende des Friedhofs. In einem Trauerzug sollte der Verstorbene von seinem Wohnhaus zur Kirche gebracht werden: an der Spitze des Zugs ein Sargbegleiter, der schwarze Straußenfedern vor sich hertrug; die Pferde des Leichenwagens geschmückt mit frisch gefärbten schwarzen Federn, der Sarg in der gläsernen Kutsche von einem fransenverzierten Leichentuch aus schwerem Samt bedeckt und dahinter mindestens zwölf Beerdigungskutschen. Für Beerdigungsbesucher wurden schwarze Seidenschals, Hutbänder und Handschuhe bereitgehalten.
    Grace versuchte mehrmals, ein Gespräch mit ihrer Partnerin anzufangen, um sich die Wartezeit ein wenig zu verkürzen, doch Jane, die bereits seit zehn Jahren für das Bestattungsunternehmen arbeitete – seit ihrem neunten Lebensjahr   –, nahm ihre Aufgabe äußersternst. Es bereitete ihr keinerlei Schwierigkeiten, ununterbrochen einen tragischen Gesichtsausdruck an den Tag zu legen, und manchmal schaffte sie es sogar, ein paar Tränen zu vergießen, indem sie sich einredete, dass sie selbst einen Angehörigen verloren hätte. Von Natur aus ängstlich und zaghaft, wie sie war, sprach sie schon außerhalb der Arbeitszeiten kaum ein Wort, während dieser jedoch überhaupt nichts. Mrs   Unwin hatte ihr eingeschärft, dass stumm zu sein die oberste Tugend einer Sargbegleiterin sei, und was Mrs   Unwin sagte, war für Jane Gesetz. So gab Grace ihre Bemühungen, Jane in ein Gespräch zu verwickeln, nach einigen vergeblichen Versuchen auf, verfiel selbst in Schweigen und beobachtete die Vorkehrungen für ein Armenbegräbnis keine zehn Meter von ihnen entfernt.
    St.   Jude’s war eine der wenigen Kirchen in London, wo es noch Platz für Leichname gab, und eben schaufelten zwei Leichengräber in einem ungepflegten, überwucherten Teil des Friedhofs ein etwa drei Meter breites Loch aus. Dabei stießen sie unweit der Oberfläche auf einige menschliche Überreste von vorherigen Bestattungen: hier ein Oberschenkelknochen, dort ein Schlüsselbein und einmal sogar ein kompletter Schädel in einem großen Erdklumpen. Ungerührt von ihren makabren Funden, pfiffen sie bei der Arbeit vor sich hin, fluchten ungeniert und rissen munter Witze. An diesem Morgen konnten sie nach

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