Geheimnummer. Kein Sex nach Plan
während meine Mutter sich immer noch verschlafen die Augen rieb.
»Wieso ›eigentlich‹?«, fragte sie plötzlich und hatte Chris damit mal wieder an seiner Achillesferse getroffen.
Er stammelte: »Na ja, er war heute Morgen hier. Er wollte zu seiner Tante fahren. Nach Bayern.«
»Nach Bayern?«, riefen meine Mutter und ich gleichermaßen empört. Bayern war für Kölner wie uns fast schon Ausland, mehr Ausland jedenfalls als Holland oder Frankreich.
»Was will er denn da?«, fragte meine Mutter, und ich hätte es nicht besser formulieren können.
Chris zuckte unschuldig mit den Schultern. »Nachdenken vielleicht. Er fährt meistens in die Berge, wenn er nachdenken will.«
»In die Berge?«, kam es von uns wieder wie aus einem Mund, und in einer anderen Situation hätten wir vermutlich gelacht.
»Hast du die Adresse von der Tante?«, fragte ich ziemlich entmutigt.
»Na ja, ich weiß nicht, vielleicht, irgendwo …«
Chris druckste herum, aber ein kurzer Blick meiner Mutter genügte, und er verschwand in seinem Zimmer, um die Adresse zu suchen.
Und dann waren wir allein. Meine Mutter, wieder wach und im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte. Ich, ausgelaugt und nervös. Ein unfairer Kampf. Meine Mutter atmete einmal schwer ein und aus, und damit war die erste Runde eröffnet. Die Runde, in der sie mich mit Anschuldigungen überhäufen würde und ich händeringend nach Entschuldigungen suchte. Aber stattdessen fragte sie ruhig: »Wolltest du deswegen nicht, dass ich Chris heirate? Wegen eurer Affäre?«
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie so schnell und dabei so gelassen zum Punkt kommen würde.
»Ähm, nein«, stotterte ich. »Das hatte damit gar nichts zu tun. Ich meine, ich war ja nicht …«
»Eifersüchtig?«
»Ja, genau, also, nein, eben nicht, überhaupt nicht. Das mit uns war wirklich nichts Ernstes, es war nur …«
»… Sex, ich weiß. Chris hat mir alles erzählt. Aber so schlecht kann er ja nicht gewesen sein, wenn du es fast einen Monat mit ihm ausgehalten hast.«
»Mama, bitte. Ist das jetzt so wichtig? Es ist ewig her, und ich wollte dir damit auch nicht die Hochzeit verderben. Ich wünschte …«
Mir versagte plötzlich die Stimme, und ich presste nur noch ein kurzes »Es tut mir leid« hervor.
Ich schaute weg und versuchte krampfhaft, ein Zittern zu unterdrücken, das sich von der Magengegend einen Weg nach draußen bahnte. Mein ganzer Körper fing an zu zittern, und plötzlich rollten mir die Tränen nur so über die Wangen. Ich wollte sie unauffällig wegwischen, aber ich kam gar nicht hinterher, so schnell strömten sie jetzt über mein Gesicht.
Meine Mutter sah mich erschrocken an. »Was ist denn, mein Schatz? Ich habe es doch nicht so gemeint.«
Ich schüttelte den Kopf und wollte am liebsten verschwinden, aber sie hatte schon ihren Arm um mich gelegt und führte mich zum Sofa.
»Ist es wegen Tim? Habt ihr euch gestritten?«, fragte sie, während sie mir die Haare aus dem Gesicht strich und mir ein Taschentuch reichte.
Ich schüttelte den Kopf und quetschte ein »Er will mich heiraten« zwischen zwei Schluchzern hervor.
»Aha«, sagte meine Mutter irritiert, und versuchte, einen angemessen ernsthaften Gesichtsausdruck zu machen.
»Aber ich kann nicht«, sagte ich schließlich, als der Weinkrampf nachgelassen hatte.
Meine Mutter nickte. Das war das Angenehme an Gesprächen mit ihr. Kein »Aber Kindchen, wieso denn nicht, in deinem Alter solltest du froh sein« oder so ähnlich. Sie akzeptierte die Vorgaben und suchte nach Lösungen.
»Und das hat er nicht verstanden?«, fragte sie.
»Nein. Ich habe es ihm noch gar nicht gesagt.« Ich schnäuzte mir lautstark die Nase.
Meine Mutter konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Du kommst eindeutig nach deinem Vater, Karina. Glaub mir, manchmal erspart es einem viel mehr Ärger, wenn man seine Gefühle einfach offen ausspricht. Tim wird es schon verstehen.«
»Und wenn nicht?« Ich sah sie ängstlich an und fühlte mich wieder wie ein kleines Kind. In mancher Beziehung wurde man einfach nicht erwachsen. Ich mochte meinetwegen mit ihrem Bräutigam ins Bett gegangen sein und sie vor der versammelten Verwandtschaft blamiert haben, aber wenn es darauf ankam, war sie immer noch diejenige, die ich in jeder Lebenslage um Rat fragen konnte.
»Er muss dich so nehmen, wie du bist, Karina. Und wenn er das nicht kann, dann kannst du leider auch nichts daran ändern.«
Allerdings hätte ich mir einen erfreulicheren
Weitere Kostenlose Bücher