Geheimprojekt Styx
Fluchen auf Deutsch mit deutlichem Hamburger Einschlag, erhob sich der ehemalige Marinemann von seiner Couch und schleppte sich zum Schreibtisch.
„Brauer“, meldete er sich und rieb sich die Augen, in dem erfolglosen Versuch, die Müdigkeit zu vertreiben.
„Es sind jetzt sechzehn Stunden vergangen, die Prinzessin sitzt im Flieger nach Katar, von dort aus wird sie dann weiter nach London fliegen.“ Wie üblich klang die Stimme Benjamin Baracks kühl, professionell und distanziert.
Brauer kratzte sich am Kinn, wo bereits ein nicht unerheblicher Bartwuchs zu erkennen war, und rieb sich anschließend erneut die Augen. „Wieso denn über Katar?“
„Wir mussten improvisieren und haben bloß eine Cessna in die Finger bekommen.“
„Gab es Tote?“
„Zehn, alles Sicherheitskräfte. Und wir haben einen Panzer lahmlegen müssen.“
Brauer brauchte etwas länger als sonst üblich, um zu realisieren, was Barack da gerade gesagt hatte.
„Einen... Panzer?“
„Ja. Schützenpanzer, Typ M2 Bradley. Hätte uns fast den Tag versaut.“
Der redet von dem Ausschalten eines Panzers, als würde ich Burger bestellen, dachte Brauer ungläubig, die sind doch alle verrückt, die Israelis!
„Geht es der Prinzessin gut?“
„Ja.“
„Melden Sie sich, wenn die Dame in der Gulfstream sitzt. Ach, und Barack, Sie fliegen mit. Ich will nicht, dass sie nach der Landung erschossen oder entführt wird.“
„Verstanden.“ Barack beendete das Telefonat und Brauer schüttelte den Kopf. „Wo bin ich hier bloß gelandet?“, fragte er sich laut und ließ sich wieder auf der Couch nieder.
Er beschloss, erst in ein paar Stunden in Kapstadt anzurufen und Hendricks von der gesamten Aktion zu erzählen. Schlicht deshalb, weil der neue Firmeneigner im Moment andere Dinge im Kopf hatte, und diese Operation samt Ergebnis konnte wahrlich auf sich warten. Brauer stellte sich den Wecker des Smartphones und legte sich wieder zurück auf die Couch.
Ungeachtet der unglaublichen Leere, die Hendricks in sich spürte, und der Tatsache, dass er immer, sobald er an seinen nun verstorbenen Vater dachte, feuchte Augen bekam, hatte er, nachdem er rund zwei Stunden durch die Weinstöcke gelaufen war, einen Großteil des Personals auf dem Platz vor dem Haupteingang versammelt und ihnen die Situation geschildert. Zeitgleich hatte er Sanchez gebeten, ein internes Memo zu verschicken, das die neue Entwicklung kurz und präzise beschrieb.
Er wusste selber, dass er am besten mit schwierigen Situationen umgehen konnte, wenn er seinen Geist beschäftigt hielt. Ganz gleich wie schwer es war oder wie groß der Verlust war. Doch Hendricks gestand sich selber ein, dass diese Methode dieses Mal nicht so funktionierte, wie sie es sonst immer tat. Dafür war Howell ihm zu wichtig gewesen. Schließlich war der Veteran im Rollstuhl das einzige an Familie gewesen, was Hendricks jemals gehabt hatte.
Entsprechend groß war die Lücke, die Howell hinterließ.
Er erinnerte sich an Geschichten von Leuten, die geliebte Menschen verloren hatten und die ihm berichtet hatten, dass der Schmerz erst nach einigen Tagen seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Die ersten ein, zwei Tage war da nur eine omnipräsente Ohnmacht, die aber Schritt für Schritt wich und durch Trauer, ein Gefühl des Verlusts und unter Umständen des eigenen Versagens ersetzt wurde.
Versagen entfiel bei Hendricks, er hatte sich nichts vorzuwerfen und tat dies nicht. Doch der Verlust war groß, das Gefühl saß tief. Daher war er recht froh, mit dem Zwangsumzug der SACS so stark beschäftigt zu sein, dass er am Ende des Tages meist nur noch erschöpft ins Bett fiel und sofort einschlief. Viel Zeit, sich Gedanken zu machen und zu trauern, hatte er schlicht nicht.
Hinzu kam, dass Hendricks bisher zwei für ihn wirklich wichtige Beziehungen gehabt hatte. Einmal die zu seinem Vater, der nie geheiratet oder sich verlobt hatte, und dann zu Nadia Sanchez. Zwar hatte es vor Sanchez unzählige andere Frauen in seinem Leben gegeben, doch war er immer rastlos umhergezogen und zu seiner Studentenzeit dafür bekannt gewesen, eine der höchsten One-Night-Stand-Quoten im Jahrgang gehabt zu haben. Nun, seit Jahren in einer festen Beziehung, hatte sich Hendricks verändert, er war ruhiger geworden, besonnener, aber immer noch genauso konsequent und zielstrebig.
Doch diese Zielstrebigkeit wurde durch Howells Tod erschüttert, massiv sogar. Plötzlich fühlte Hendricks, wie einer seiner Pfeiler im Leben
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