Geheimsache Labskaus
einflößen? Vielleicht ein starkes Beruhigungsmittel, das ihn in einen willenlosen Schatten seiner selbst verwandelte? Das musste Elektra um jeden Preis verhindern, und dazu brauchte sie Hilfe.
Sie war die Möglichkeiten im Kopf durchgegangen: die Polizei – das kannte sie schon, da würde ihr doch keiner glauben; Zacks Mutter – im Urlaub; Oskar, Zacks bester Freund – gute Idee.
Aber leider hatte Zack ihr weder erzählt, wie sein Kumpel mit Nachnamen hieß, noch wo man den finden konnte. Und Elektra hatte vergessen, den Jungen nach seiner Telefonnummer zu fragen. Der einzige Mensch, von dem sie sich jetzt Hilfe erhoffen konnte, war Zacks Schwester. Zum Glück hatte Zack, bevor er in der Einzelhaft verschwand, Elektra viel über seine Schwester erzählt. Zum Beispiel, dass sie freitagabends gern in ihren Lieblingskneipen rumsaß.
Und so kam es, dass Elektra, sobald sie zu ihrem Wochenendausgang zu Hause angelangt war, schon wieder heimlich über den Balkon ihres Zimmers nach draußen geklettert war. Kurz darauf war sie auf der Suche nach Charlotte Pollack von einer Bar zur anderen gezogen. Von Zack wusste sie in etwa, wo seine Schwester normalerweise ausging. Aber eben nur in etwa.
„Die kommt immer mittwochs nach ihrem Hiphop-Kurs“, hatte es etwa in der „Bar Biepuppe“ geheißen. Und: „Heute ist Freitag, da hängt die bestimmt in der ‚Haft Bar‘ ab!“
Aber auch dort keine Spur von Charlie. Elektra hetzte weiter, zuerst zur „Bar Tenwal“, dann weiter zur „Bar Fuß“, zur „Bar Barei“ und von dort in die „Bar Ockzeitalter“. Die letzten drei davon waren noch geschlossen gewesen. Daher saß Elektra nun am Tresen der „Sonder Bar“ und seufzte. „Ich glaube, diese Charlie ist ein Phantom.“
„Ach, du suchst Charlie, warum hast du das nicht gleich gesagt?“, sagte der Barmann. „Stimmt, die ist oft hier am Wochenende. Glaube ich jedenfalls, man erkennt sie ja nicht immer gleich: quasi jede Woche eine neue Frisur. Neulich so blaue und grüne Strähnchen, das war echt krass. Oder so vor zwei, drei Monaten, da habe ich sie einmal wirklich nicht erkannt. Hatte sich tatsächlich – sag mal, spinnst du?“
Elektra hatte eben eine fette Portion Sprühsahne von ihrem Kakao gelöffelt. Doch statt sich den Löffel in den Mund zu schieben, richtete sie ihn samt seiner schaumigen Ladung wie ein Katapult auf den Barkeeper. „Ich habe nicht ewig Zeit“, raunte sie bedrohlich, „also, wo finde ich Charlie?“
Auch ohne Elektras Kriminalakte zu kennen, schien der Barmann durchaus beeindruckt. Aus Sorge um sein frisch gebügeltes Hemd kürzte er seinen Vortrag ab: „Jedenfalls, ein echt lustiges Mädchen, vielleicht kommt sie heute auch wieder. Wenn du“, er blickte auf die Uhr über dem Flaschenregal hinter sich, „noch ’ne halbe Stunde wartest?“
„Eine halbe Stunde, puh!“
Auch 30 Minuten später hatte Charlie sich nicht blicken lassen. Inzwischen war der Laden voller und die Musik lauter geworden. Bügelhemd hatte alle Hände voll zu tun. Trotzdem hielt er Elektra auf dem Laufenden und brachte ihr sogar noch einen zweiten Kakao, „aufs Haus“, wie er sagte. Einen Löffel gab er ihr diesmal nicht. „Aber um zehn musst du spätestens gehen. Hab keine Lust auf Ärger mit dem Jugendamt.“
„Die kennen mich sowieso.“
„Wie bitte?“
„Nichts, schon gut.“
„Warte mal. Da ist … hey, Gunnar!“, rief der Barmann und winkte einen jungen Mann heran.
„Hallo, was geht? Willst du deine nächste Gitarrenstunde absagen?“
„Quatsch, ich habe ja noch das ganze Wochenende Zeit zu üben. Nein, die junge Dame hier sucht Charlie. Hast du eine Idee, wo die steckt?“
„Die wollte in die ‚Fabrik‘, da ist doch dieses Fundus-Fest.“ „Fundus?“, fragte Elektra.
„Ja, irgendein Theater. Die lösen ihren Fundus auf. Klamotten, Möbel, Geschirr – was man halt so braucht auf der Bühne.“
„In der ‚Fabrik‘, sagst du?“
„Ja.“
„Danke … auch für den Kakao.“ Elektra stürmte zum Ausgang.
Freitag, 24. Juli, 18.48 Uhr
Zack spürte, wie seine Schulter beim Sturz hart auf dem Beton aufschlug. Er hatte die Kontrolle über seine Gliedmaßen verloren, seine Beine zuckten wild. Einen endlosen Augenblick lang konnte er nicht atmen. Dann, ganz plötzlich, war der Spuk vorbei, und Oskar war bei ihm. „Bist du okay?“, fragte der mit Angst in der Stimme.
Zack grunzte nur. Sein Herz klopfte heftig, aber es gelang ihm, sich aufzusetzen. Vorsichtig rieb er sich
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