Gehen (German Edition)
und umbringenden Staat. Tatsächlich existieren viele Bemerkungen Karrers über Hollensteiner, Oehler sagt, Hunderte Zettel, wie auch über Sie, sagt Oehler zu mir, Hunderte Zettel von Karrer existieren, wie auch über mich. Daß es sich darum handle, alle diese karrerschen Einfälle, Bemerkungen und Gedanken nicht verlorengehen zu lassen, sei selbstverständlich, doch komme man an diese karrerschen Aufzeichnungen nur schwer heran, weil man sich, wolle man die karrerschen Schriften sichern, sich an die Schwester Karrers zu wenden habe, die aber von allem, das mit dem karrerschen Denken zusammenhängt, nichts mehr wissen wolle. Er, Oehler, denke, ob Karrers Schwester nicht schon die karrerschen Schriften vernichtet habe, denn wie man immer wieder beobachte, handelten die stumpfsinnigenVerwandten, wie zum Beispiel Schwestern und Frauen oder Brüder und Neffen von verstorbenen oder endgültig in Irrenhäuser gekommenen Denkern, gar, wenn es sich um solche genialen Charaktere handle wie im Falle Karrers, schnell, sie warten nicht einmal den Augenblick des endgültigen Todes oder des endgültigen Verrücktwerdens des gehaßten Objekts ab, sagt Oehler, sondern vernichten, also verbrennen meistens noch vor dem endgültigen Tode oder vor der endgültigen Internierung ihres gehaßten Denkers als Anverwandten dessen sie irritierende Schriften. Wie ja auch die Schwester Hollensteiners alles, was Hollensteiner geschrieben hat, sofort nach dem Selbstmord Hollensteiners vernichtet hat. Ein Irrtum, anzunehmen, die Schwester Hollensteiners habe sich auf die Seite Hollensteiners gestellt, sagt Oehler, im Gegenteil hat sich die Schwester Hollensteiners ihres Bruders geschämt und auf die Seite des Staates und also auf die Seite der Gemeinheit und Dummheit gestellt. Wie Karrer sie aufgesucht hat, hat sie ihn hinausgeworfen, sagt Oehler, das heißt, sie hat Karrer gar nicht erst in ihre Wohnung hineingelassen. Und auf die Frage nach Hollensteiners Schriften hat sie geantwortet, Hollensteiners Schriften existieren nicht mehr, sie habe Hollensteiners Schriften verbrannt, weil sie ihr als irrsinnige Schriften erschienen sind. Tatsache ist, sagt Oehler, daß der Welt an den hollensteinerschen Schriften ungeheuerliche Gedanken verlorengegangen sind, der Philosophie ein ungeheuerliches Philosophisches, der Wissenschaft ein ungeheuerliches Wissenschaftliches. Denn Hollensteiner ist ein fortwährend denkender wissenschaftlicher Kopf gewesen, sagt Oehler, der dieses fortwährende wissenschaftliche Denken fortwährend zu Papier gebracht habe. Tatsächlich handelte es sich bei Hollensteiner ja nicht nur um einen Wissenschaftler, sondern auch um einen Philosophen, in Hollensteiner haben sich auf das Disziplinierteste und also Produktivste, Wissenschaftler und Philosoph in einem einzigen klaren Kopf konzentrieren können, sagt Oehler. Sokönne man, wenn man von Hollensteiner spreche, von einem Wissenschaftler sprechen, der im Grunde doch Philosoph, wie von einem Philosophen, der im Grunde doch Wissenschaftler gewesen sei. Hollensteiners Wissenschaft ist im Grunde Philosophie, Hollensteiners Philosophie Wissenschaft gewesen, sagt Oehler. Sonst sind wir immer gezwungen, zu sagen, hier haben wir einen Wissenschaftler, aber (leider) keinen Philosophen, oder, hier haben wir einen Philosophen, aber (leider) keinen Wissenschaftler. Nicht so in der Beurteilung Hollensteiners. Eine sehr österreichische Eigenschaft, sagt Oehler, wie wir wissen. Lassen wir uns auf Hollensteiner ein, sagt Oehler, lassen wir uns gleichzeitig in einen Philosophen und in einen Wissenschaftler ein, wenn es auch vollkommen falsch wäre, zu sagen, Hollensteiner sei ein philosophierender Wissenschaftler gewesen und so fort. Er war ein vollkommen wissenschaftlicher Philosoph. Sprechen wir von einem Menschen, sagt Oehler, wie jetzt von Hollensteiner (und wenn von Hollensteiner, doch im Grunde von Karrer oder wenn von Karrer, so doch sehr oft im Grunde von Hollensteiner und so fort), sprechen wir doch immerfort auf der Grundlage eines Resultats. Wir sind Mathematiker, sagt Oehler, oder versuchen doch wenigstens immer, Mathematiker zu sein. Wenn wir denken, handelt es sich weniger um Philosophie, sagt Oehler, mehr um Mathematik. Es ist alles eine ungeheuerliche, haben wir sie von Anfang an unterbrechungslos aufgestellt, ganz einfache Rechnung. Nicht immer sind wir aber in der Lage, was wir errechnet haben, als Ganzes im Kopf zu haben, und wir brechen ab, was wir denken und sind zufrieden
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