Gehetzt - Thriller
der Abenddämmerung die Lichter von Chicago an. Im Hintergrund dudelte der Fernseher. Gail konnte sich nicht daran gewöhnen, dass ständig der Fernseher lief, aber Diane bestand darauf, ihn anzulassen, um immer über die neuesten Nachrichten auf dem Laufenden zu sein.
»Sieht nach einer zwölf- bis dreizehnstündigen Fahrt aus. Wenn wir in einem Rutsch durchfahren.«
»Kannst du so lange fahren?«
»Ich kann schon, aber es wäre nett, wenn du mich mal ablösen könntest.«
»Ich habe seit beinahe zwanzig Jahren nicht hinterm Steuer gesessen. Ich weiß gar nicht, ob ich es noch kann.«
»Keine Sorge. Die Hälfte aller Führerscheinbesitzer dieses Landes kann nicht richtig Auto fahren. Aber es ist wie Fahrrad fahren. Du hast es in null Komma nichts wieder raus.«
Gail zuckte mit den Schultern, nicht sicher, ob es stimmte, und starrte auf die Karte.
»Ach du Scheiße!« Diane schnappte sich die Fernbedienung und stellte den Fernseher lauter.
»Sie haben mich total überrumpelt. Dabei wirkten sie so harmlos. Für mich sahen sie aus wie zwei Frauen, die Hilfe brauchten, und ich wollte ihnen helfen. Sie haben mir erzählt, dass sie eine Autopanne hatten, dass ihre Karre den Geist aufgegeben hatte und sie in die Stadt müssten …« Es war der Kipplastwagenfahrer. Gail konnte sich nicht mehr an seinen Namen erinnern. Die Haut um seinen Mund war in einem nahezu perfekten Rechteck von Ausschlag befallen.
»Wie hätte ich das ahnen sollen«, sagte Diane. »Der Ärmste ist allergisch gegen Klebeband. Ich komme mir richtig mies vor.«
Gail ging zu Dianes Bett und setzte sich direkt vor den Fernseher. Diane rutschte neben sie, hockte sich im Schneidersitz aufs Bett, beugte sich vor und starrte gebannt auf den Bildschirm.
»Mike«, sagte Gail.
»Er hat versprochen, das Maul zu halten«, fügte Diane hinzu. »Und du warst bereit, ihm zu glauben. Siehst du? Manchmal weiß ich doch, was ich tue.«
Gail schwieg.
»… und dann hat eine der beiden, die Jüngere … also wir kommen in die Stadt, und bevor ich mich versehe, gucke ich in eine verdammte 357er oder was auch immer. Ich weiß nur, dass sie groß war, es war eine verdammte Riesenmonsterkanone …«
An dieser Stelle wurde Mike ein wenig zittrig, seine Pupillen schossen hin und her, seine Augenlider flatterten, wie um Tränen zurückzuhalten, doch dann fing er sich und fuhr fort: »Der Teufel soll mich ho len, wenn ich in meinem Leben noch jemals einen Anhalter mitnehme, ganz egal wer den Daumen raushält. Ich dachte, sie würde mich abknallen. Ich
habe es wirklich geglaubt. Ich sage Ihnen, diese Frau en fackeln nicht lange.«
Der Reporter hatte noch nicht aufgehört, sich bei Mike für das Interview zu bedanken, als die Verbrecherfotos eingeblendet wurden, bildschirmfüllend, Diane und Gail nebeneinander, Häftlingsnummern unter dem Kinn, das sie beide in beinahe identischer Pose trotzig nach vorne gereckt hatten.
»Guck mal«, sagte Gail. »Wir sind im Fernsehen. Wir sind jetzt vollwertige Menschen. Wir existieren.«
Diane starrte nur auf den Bildschirm, hörte die Stimme des Reporters sie beide als »die Revolutionärin und die Abtrünnige« beschreiben, hörte ihn berichten, dass die Behörden Grund zu der Annahme hätten, dass die flüchtigen Strafgefangenen sich noch im Großraum New York City aufhielten, es aber ge nauso gut mög lich sei, dass sie die Stadt be reits verlassen hätten.
»Mit anderen Worten«, stellte Diane an den Fernseher gewandt fest, »ihr wisst einen Scheißdreck.« Sie seufzte, und in Gails Ohren klang es irgendwie nach einem zufriedenen Seufzer. Es war auf keinen Fall ein besorgter Seufzer.
Es folgte ein Werbespot, und Gail stellte den Ton ab.
»Na also.«
»Na also?«
»Das Foto sah dir absolut nicht ähnlich.«
»Gott sei Dank. Deins dir auch nicht. Aber die Verachtung, die bei dei ner Einlieferung aus dei nen Augen spricht, mein lieber Junge!«
»Genug für uns beide, was?«, entgegnete Gail.
»Das kann man wohl sagen«, stimmte Diane zu. Gail fasste es als Kompliment auf.
Später, als die Lichter und der Fernseher aus wa ren und sie beide ihren Gedanken nachhingen, rollte Diane sich auf die Seite, sodass sie Gail zugewandt war.
»Dieser Rick«, fragte sie, »warst du mal mit ihm zusammen?«
»Fast«, erwiderte Gail.
»Vertraust du ihm?«
»Unbedingt.«
»Woher weißt du, dass er in Ordnung ist?«
»Da gibt es kein Wissen. Aber ich vertraue ihm, wie ich nur irgendjemandem vertrauen kann.«
»Wie mir?«
Gail
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