Gehetzt
zweite Detonation ließ den Boden erzittern, als die Geschützmunition hochging und die Körper der Schützen durch die Luft wirbelten. Auch die beiden nächsten Panzer feuerten, scheinbar angefeuert durch den Treffer der Kameraden, mitten in die dichte Rauchwolke und zerschossen die Überreste des Geschützes.
Storch befahl, das Feuer einzustellen, und beobachtete die Stellung durch sein Glas. Seine Stimme klang gleichmütig:
»Glückwunsch, Meyer. Ihre Schießübungen bei der Entenjagd scheinen sich jetzt bezahlt zu machen.«
In seinem Panzer preßte Meyer die Lippen aufeinander. Es war typisch für Storch, daß er niemandem auf die Schulter klopfen konnte, ohne ihm im gleichen Atemzug einen Tiefschlag zu versetzen. Die ironische Bemerkung über die Entenjagd zielte wieder auf seine aristokratische Abstammung, dessen war sich der Oberst sicher. Während sie auf weitere Anweisungen warteten, putzte Meyer sein Monokel und klemmte es sich wieder vors Auge. Er trug es bei jeder sich bietenden Gelegenheit, weil er genau wußte, daß er Storch damit ärgerte, der Augengläser als Status- und Standessymbol verachtete.
Schließlich tönte die Stimme des Generals blechern durch die Kopfhörer, befahl den weiteren Vormarsch.
Storchs Laune besserte sich zunehmend. Er sah sich schon dicht vor Amiens stehen, nur vierzig Kilometer von der Küste entfernt. Seine Panzerdivision bildete die Spitze der vorstürmenden Armeen, und so sollte es bleiben. Über sein Mikro gab der General dem Fahrer Befehl, das Tempo zu erhöhen, selbst auf die Gefahr hin, daß sie die Motorradvorhut überholten. Das Aufklärungsflugzeug hatte gerade über Funk durchgegeben, daß die Straße vor ihnen frei war.
Im zweiten Panzer wischte sich Meyer den Staub aus dem Gesicht, den Storchs Kommandopanzer aufwirbelte, und unterdrückte mühsam seine schlechte Laune.
Wenig später donnerten sie ohne Halt durch das nächste französische Dorf. Auch hier das gleiche Bild: eine Kirche, ein Marktplatz – und die Einwohner standen zu Salzsäulen erstarrt vor den Häusern, zu erschrocken und überrascht, um hineinzulaufen, als die Panzer vorbeirollten.
›Das kann nicht mehr lange gutgehen‹, dachte Meyer skeptisch.
Sie hatten die eigene Infanterie schon weit hinter sich gelassen. Beim nächsten Stopp mußte er unbedingt mit Storch reden. Seine sämtlichen soldatischen Grundsätze rebellierten gegen einen solchen Wahnsinnsvorstoß einfach ins Blaue hinein.
Sie fuhren aus dem Dorf wieder in die offene Landschaft hinaus. Bis zum Horizont dehnten sich endlose Felder. Die Sonne brannte heiß auf verdörrtes Weideland. Während Storch die leere Weite vor ihnen als Zeichen des Zusammenbruchs der französischen Verteidigungslinien wertete, witterte Meyer ein ganzes Arsenal versteckter Gefahren. Er wußte zwar genau, daß der Manstein-Plan eine Umkesselung der alliierten Armeen im Norden vorsah, um sie von den französischen Streitkräften im Süden abzuschneiden; der zangenförmige Vorstoß sollte bis zur Küste vorgetragen werden. Doch Meyers Ansicht nach konnte dieser Plan nur dann Erfolg haben, wenn die Alliierten die Hände in den Schoß legten und nichts gegen diese Einkesselung unternahmen. Aus seiner Kampferfahrung im Ersten Weltkrieg wußte Meyer, daß nur ein Verrückter einen solchen Plan aushecken konnte. Jeden Moment mußte der Feind zum Gegenschlag ausholen und die weit vor dem deutschen Hauptheer operierenden Panzerkeile wie eine Flutwelle überrollen und vernichten. Meyer hoffte inständig, daß der Gegenstoß wenigstens nicht aus dem Rückraum kommen würde.
Aus dem Bordsprechgerät ertönte ein neuerlicher Befehl. Sie näherten sich einer Kreuzung. Storch wartete in seinem stehenden Panzer, bis Meyer heran war. Der Oberst kletterte aus seinem Fahrzeug, ging zum Panzer seines Kommandanten und schaute zu ihm hinauf. Nach einer unbehaglichen Pause erklärte der General:
»Der Aufklärer meldet einige Objekte auf der Straße vor uns.
Er will sie sich mal genauer ansehen.«
»Ich weiß.« Meyer holte tief Luft. Insgeheim wünschte er, Storch würde aus seinem Turm herausklettern. »Ich habe schon damit gerechnet – der Gegenstoß kann jeden Augenblick erfolgen. Ich würde Ihnen vorschlagen, hier abzuwarten, bis unsere Infanterie nachgerückt ist. Vielleicht wäre es sogar klüger, die Panzerspitze ein paar Kilometer zurückzunehmen, damit die Einheit schneller aufrücken kann.«
»Weshalb?«
Storchs Stimme war seidenweich. Er lehnte sich
Weitere Kostenlose Bücher