Gehetzt
Wunde, und Übelkeit rumorte in seinem Magen.
Probeweise bewegte er seine Beine und winkelte zuerst das rechte, dann das linke Knie an. Die Beine waren in Ordnung.
Nun die Arme. Er drehte sie leicht auf der Decke, ballte die Hände zu Fäusten, bewegte jeden einzelnen Körper ziemlich geschwächt, denn seine normalerweise durchtrainierten Muskeln fühlten sich an wie Pudding. Er drehte den Kopf zur Seite und sah ein paar Stiefel, die ordentlich neben seinem Lager standen. Das Leder glänzte wie schwarzes Glas. Es waren seine Stiefel, denn er erkannte den Kratzer auf der einen Stiefelspitze. Ihr Anblick freute ihn irgendwie, denn sie waren erst kürzlich mit großer Sorgfalt gereinigt worden, was bedeutete, daß Reynolds sie sich vorgenommen hatte. Um seine Schulter zu entlasten, drehte sich Barnes auf die Seite, hob den Kopf leicht an und musterte sein Quartier. Er lag in einer Art Anbau, wahrscheinlich in einer Scheune. Tatsächlich bemerkte er in einer Ecke einen verrosteten Pflug und daneben Teile ihrer Ausrüstung. Ein Feldkessel hing über der Asche eines Feuers an einem provisorischen Dreifuß, daneben standen zwei Blechbecher.
Der nächste Gegenstand aber jagte ihm einen eisigen Schauder über den Rücken. An der Wand lehnte eine deutsche Maschinenpistole; deutlich ragte das Magazin unter dem Lauf hervor. Der Schulterriemen war ordentlich zusammengelegt.
Barnes wollte aufstehen und sich die Waffe holen, aber seine Beine trugen ihn nicht. Er kroch also unter der Decke hervor und rutschte auf den Knien über den rauhen Holzboden. Sein Oberkörper war nackt. Als er bei der Waffe anlangte, sackte er in sich zusammen. Doch er biß die Zähne zusammen und zwang sich wieder auf die Knie, packte die Maschinenpistole an ihrem Lauf und zog sie hinter sich her zurück zu seinem Lager. Dort brachte er sich mühsam in eine sitzende Stellung und untersuchte die Waffe.
Er nahm das Magazin heraus, und während er sich mit dem Mechanismus vertraut machte, kehrte seine Erinnerung zurück.
Jemand hatte seine Wunde versorgt, ein Mann mit roten Wangen und einem buschigen weißen Schnurrbart. Auch eine Injektion hatte er ihm gegeben, Barnes spürte deutlich die Einstichstelle im rechten Arm. Später war der Fremde dann wiedergekommen und hatte den Verband gewechselt. Er erinnerte sich deshalb so genau, weil er sich gegen das Aufwachen gesträubt hatte.
Verdammt, wie lange waren sie denn schon hier? Sechs Stunden? Oder gar zwölf? Er warf einen Blick auf seine Uhr.
Die Zeiger waren auf 7.45 Uhr stehengeblieben, das Glas zersplittert. Das mußte ungefähr die Zeit gewesen sein, als der Munitionszug in die Luft geflogen war.
Durch ein Fenster oben in der Wand schimmerte helles Tageslicht herein. Wieder ein heißer Tag mit blauem Himmel.
Wahrscheinlich morgens oder nachmittags – am Sonntag, dem 19. Mai.
Barnes hörte Schritte näher kommen. Rasch schob er das Magazin in die Waffe, zog die Decke bis ans Kinn und saß ganz still. Die Waffe war unter der Decke verborgen, seine linke Hand klammerte sich um den Lauf, die Finger seiner rechten Hand lagen am Abzug.
Durch das hohe Tor am anderen Ende der Scheune traten zwei Männer ins Innere. Es waren Penn und ein Fremder, der auf den ersten Blick kaum älter als achtzehn Jahre wirkte. Er trug eine blaue Drillichhose und eine Jacke aus dem gleichen Stoff. Sein Hemd stand über der Brust offen. Der Junge strotzte vor Gesundheit, war groß und wohlproportioniert. Jede seiner Bewegungen zeugte von Vitalität. Das blonde Haar war sauber zurückgekämmt, lebhafte Augen schauten neugierig auf Barnes hinunter.
Penn schien überrascht. »Sie sind schon wach, Sergeant?«
»Hätten Sie lieber eine Leiche vorgefunden? Wer ist das?«
»Das ist Pierre. Er spricht Englisch. Pierre, das ist Sergeant Barnes.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Sergeant.«
Der Junge beugte sich vor und schüttelte Barnes feierlich die Hand, was den Sergeant einigermaßen verwunderte. Dann richtete er sich wieder auf und verharrte schweigend.
»Wo ist Reynolds?« fragte Barnes.
»Er schiebt draußen Wache.«
»Er bewacht Bert?«
»Ja, Bert steht im Schuppen nebenan. Machen Sie sich keine Sorgen – er ist von draußen nicht zu sehen.«
»Was heißt das? Weshalb sollte ich mir Sorgen machen?«
»Wie geht es Ihnen?« sagte Penn ausweichend. »Sie haben…«
»Es geht mir gut genug, um mich zu fragen, was, zum Teufel, hier eigentlich los ist. Wie lange sind wir schon hier, Penn?«
»Sie hatten eine
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