Gehetzt
auch gleich krepieren wie die anderen‹, dachte Barnes bitter. ›Armer Hund!‹
Seine Lippen formten lautlos diese Gedanken, aus Furcht, der Sterbende könnte sie hören, aus Furcht, er könnte seinen Kopf umwenden. Barnes beugte sich mit zusammengepreßten Kiefern zu dem Deutschen hinunter, hielt die Mündung seiner Waffe dicht an dessen Schläfe und riß, ehe er lange nachdenken konnte, den Abzug durch. Der Körper des Deutschen bäumte sich noch einmal auf und lag dann still.
Pfeifend stieß Barnes die Luft aus und richtete sich auf. Er spürte, daß er nicht allein war, und wandte sich um. Von der Brücke schauten die Gesichter von Penn und Pierre zu ihm herunter.
»Pierre, komm mal her zu mir!« rief er.
Der Junge folgte nur zögernd seiner Aufforderung. Er blickte nicht nach rechts oder links, wich vorsichtig allem aus, was ihm im Weg lag. Von der Brücke beobachtete Penn mit versteinerter Miene die Vorgänge. Pierre blieb vor Barnes stehen und schaute ihn mit nichtssagendem Blick an.
Unterwegs war er mit dem Kamm durch seine Haare gefahren.
»Schau dich genau um«, ermunterte ihn Barnes. »Das ist der Krieg, bei dem du so eifrig mitmachen möchtest. Wenn du alt genug bist, wird man dich zur Waffe rufen – und ich wette meinen Kopf, daß der Krieg noch so lange dauert. Glaube ja nicht, daß es ein Spaß sein wird.«
Pierre ließ seinen Blick über die Toten schweifen, sein Gesicht zeigte keinerlei Regung. Er stand kerzengerade vor Barnes.
»Sieh sie dir genau an«, forderte Barnes ihn erneut auf und ließ ihn dabei nicht aus den Augen. »Das sind die Hunde, die mit ihren Maschinengewehren aus Panzern und Flugzeugen auf Frauen und Kinder schießen.«
»Kann ich jetzt gehen?« fragte Pierre kühl und vermied es, seiner Frage das Wort ›Sergeant‹ anzuhängen.
»Ja, geh zum Panzer und warte dort mit Soldat Reynolds. Penn, kommen Sie einen Augenblick herunter!«
Pierre stieg zur Brücke hoch und verschwand.
»Mußten Sie ihm das antun?« schnaufte Penn aufgebracht, als er bei Barnes anlangte.
»Dafür hatte ich meine Gründe. Suchen Sie für jeden von uns eine intakte Maschinenpistole und so viele Reservemagazine, wie Sie finden können. Möglicherweise können wir sie brauchen.«
Schweigend machten sie sich an die Arbeit. Barnes zählte die Leichen. Wenn er die Toten in dem Feld jenseits der Straße dazurechnete, mußte der Wagen eine Abteilung von zwanzig Mann transportiert haben. Gerne hätte Barnes die Kleider des Offiziers durchsucht, der sicher vorne neben dem Fahrer gesessen hatte. Doch in diesem Durcheinander hätte die Suche nach ihm Stunden gedauert. Statt dessen ging er zu dem Soldaten ohne Beine zurück und zog dessen Soldbuch aus der Brusttasche.
Gustav Freister, 75. Infanterie-Regiment. Jedenfalls glaubte Barnes, daß das lange Wort die Einheit bezeichnete. Er schob das Soldbuch in seine Tasche. Es würde Aufschluß geben über die Einheit, sobald er die alliierten Linien erreichte. Außerdem wollte er, daß der Tod dieses armen Teufels so schnell wie möglich über das Rote Kreuz nach Deutschland gemeldet wurde.
Sie kehrten zum Tank zurück. Barnes erklärte Penn und Reynolds kurz die Bedienung der Maschinenpistolen und ließ sie ein paar Minuten ohne Magazin üben. Währenddessen saß Pierre auf der Motorhaube und starrte Löcher in die Luft, ohne von Barnes Notiz zu nehmen. Penn übte fleißig mit seiner Waffe und kletterte danach mit ausdruckslosem Gesicht in sein Abteil. Nur Reynolds schien die plötzliche Spannung nicht zu bemerken. Während er sich auf den Fahrersitz schwang, sagte er mit zufriedener Stimme:
»Alle Achtung, Penn! Kannst verdammt gut mit der Kanone umgehen.«
»Stimmt, war gute Arbeit. In dem Wagen saßen zwanzig Mann!«
Der gute alte Penn. Reynolds hatte recht. Hätte er nicht den Wagen mit dem ersten Schuß in seine Einzelteile zerlegt, würde der deutsche Offizier wahrscheinlich jetzt ihre Soldbücher studieren. Doch Barnes’ Gedanken beschäftigten sich schon mit der Zukunft, und während er den blauen Himmel absuchte, verstärkte sich in ihm das Gefühl, daß sie in der kommenden Nacht mit ernsten Schwierigkeiten rechnen mußten.
Seine Entscheidung barg ein gewisses Risiko in sich, doch Barnes nahm es auf sich. Er entschloß sich, die Nacht an der Flußbrücke zu verbringen. Die Nervenanspannung hatte sich während des ganzen Abends bis zur Unerträglichkeit gesteigert, seitdem sie vom Kanal aufgebrochen waren. Hinzu kam, daß Penn und Reynolds
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