Gehetzt
britischen Expeditionskorps. Vor dem Vorhang bewegten sich kleine Gestalten wie die aufgeregten Bewohner eines Ameisenhügels, doch es war kein chaotisches Durcheinander, sondern ein geordnetes Vorströmen. Nur in dem Bereich unmittelbar vor dem Panzer blieb alles ruhig. Der Kampfwagen befand sich gute sechs Meter über der Ebene, und der Bahndamm stieg in Richtung Süden stetig an, was Barnes sichtliches Unbehagen bereitete. Die Seitenhänge wurden steiler und machten mit jedem Meter, den sie zurücklegten, ein eventuell notwendiges Ausweichen in die Ebene hinunter immer schwieriger. Barnes ließ seine Blicke über das Gelände auf der Seite der Alliierten schweifen, bemerkte aber nichts, was ihn ein wenig beruhigt hätte.
Wie erwartet, bot der Bahndamm einen guten Überblick über die Kampfzone. Stuka-Angriffe hatten die Vororte der belgischen Stadt Etreux fast völlig zerstört, doch selbst in diesen ersten Kriegstagen waren diese äußeren Zeichen von Tod und Verwüstung schon nichts Ungewöhnliches mehr für den Panzerkommandanten. Trotzdem jagte ihm auch diesmal wieder diese totale Leere einen eiskalten Schauer über den Rücken. Vergeblich suchten seine Augen nach einem Anzeichen menschlichen Lebens in den Ruinen.
Das Funkgerät knackte, jemand kam über den Sender.
»Hallo, Parker hier. Irgendwas zu sehen, Barnes?«
»Hier Barnes, Sir. Keine Spur von unseren Freunden – ich wiederhole, nichts zu sehen. Standort jetzt etwa dreihundert Meter vor den eigenen Linien. Ich wiederhole: dreihundert Meter. Ende.«
»Sind Sie ganz sicher, Barnes? Ich muß dem Bataillonsgefechtsstand sofort Meldung machen. Ende.«
»Ganz sicher, Sir. Ich kann von dem Bahndamm, der hier etwa sieben Meter hoch ist, die Gegend gut überblicken. Das Gelände ist so eben wie eine Tischplatte. Von den Franzmännern ist nichts zu sehen. Soll ich noch weiter vorrücken oder umkehren?«
»Fahren Sie noch dreihundert Meter weiter, und melden Sie sich dann wieder. Ende.«
»Verstanden. Ende.«
›Wenigstens nur eine kurze Strecke‹, dachte der Sergeant.
Der Tank rumpelte auf dem schnurgeraden Bahndamm vorwärts. Etwa dreihundert Meter weiter verschwand die Bahnlinie in einem steil ansteigenden Hügel. Deutlich erkannte Barnes die dunkle Wölbung der Tunnelöffnung. Die Entfernung kam also ungefähr hin, doch vielleicht blieb ihnen nicht genug Zeit zur Ausführung des Befehls. Barnes warf einen Blick auf seine Uhr. In zwei, drei Minuten würden die Deutschen über Funk Artillerieunterstützung angefordert haben und den Bahndamm mit Sperrfeuer belegen. Im Moment konnte die erste Salve loszwitschern, und der Leitoffizier würde die Geschütze einweisen. Wenn Barnes nicht völlig schieflag mit seiner Vermutung, würden sie wohl kaum die dreihundert Meter schaffen, ehe die ersten Granaten den Panzer umschwirrten. Und der steile Anstieg der Bahnlinie erleichterte den deutschen Richtschützen ihre Aufgabe noch.
Barnes fragte sich, wie sich seine Männer als Zielscheiben wohl fühlen mochten. Er warf einen Blick in den Turm. Davis bückte sich gerade, und so konnte Barnes das Gesicht des Kanoniers nicht sehen, doch Corporal Penn schaute im gleichen Augenblick auf, und der Sergeant glaubte deutlich eine Spur von Angst in dem schmalen, intelligenten Gesicht zu erkennen. Doch machte sich Penn immer gleich Sorgen, weil er als einziger von ihnen genügend Phantasie besaß, um sich das, was ihnen zustoßen konnte, in allen Einzelheiten auszumalen. Zuviel Phantasie und Intelligenz konnten von Nachteil sein, wenn man auf Gedeih und Verderb in einem engen Panzerturm eingesperrt war.
Barnes gab Reynolds über Bordfunk den knappen Befehl, das Tempo beizubehalten. Unterhalb des Bahndammes glitten jetzt die gespenstischen Ruinen von Etreux vorbei. Unentwegt hielt Barnes Ausschau nach einer Geschützstellung, nach den französischen Truppen. In ihm verstärkte sich das Gefühl, daß hier irgendeine Schweinerei passiert war. Die ganze Geschichte stank. Zuerst dieser überstürzte Vorstoß vom 10. Mai, als die Nachricht von der deutschen Invasion in Holland und Belgien die alliierten Truppen aus den Verteidigungsstellungen an der belgisch-französischen Grenze herausgetrieben hatte, um sich dem deutschen Vormarsch auf offenem Feld entgegenzuwerfen. Jetzt schrieb man den 16. Mai, ein Donnerstag. Gerade sechs Tage waren seitdem vergangen, doch Barnes erschienen sie wie sechs Wochen.
Wenigstens hatten sie die deutsche Offensive stoppen können.
Barnes wandte
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