Gehetzt
nordwestlicher Richtung nach Arras vorzustoßen * – hatte Barnes fast zwei Tage mit sich gerungen, und er hatte sich dabei nur auf zwei Informationsquellen stützen können: auf die vagen Radiomeldungen und seine scharfen Augen.
* Die alliierten Streitkräfte hatten sich am Donnerstag, dem 23. Mai, gegen 22 Uhr aus Arras abgesetzt. Der kurze Gegenangriff der 1. Panzergrenadier-Brigade stoppte den Vormarsch der 7. Panzerdivision unter Generalmajor Erwin Rommel und versetzte das deutsche Oberkommando in helle Aufregung.
Mehr denn je war er überzeugt, daß sich das Kriegshandwerk völlig im Umbruch befand, ausgelöst durch die schier unglaubliche Mobilität der Tanks.
Die Deutschen hatten alle Lehrmeinungen von einer festen Front durch den Überraschungsvorstoß ihrer Panzer tief nach Frankreich hinein über den Haufen geworfen. Sie machten sich vorderhand nicht einmal die Mühe, die eroberten Gebiete zu besetzen, sondern verließen sich einfach auf das Überraschungsmoment und das anhaltende Entsetzen des Gegners angesichts ihres Vorstoßes. Barnes konnte nur zu einem einzigen Schluß kommen, vorausgesetzt, er machte es wie die Deutschen und warf alles, was er über taktische Panzerkriegsführung gelernt hatte, über Bord. Wenn also die deutschen Panzerarmeen riesige Gebiete überrollen konnten, ohne auf die Infanterie zu warten, um diese Gebiete auch zu halten, mußte es doch für einen einzelnen englischen Tank möglich sein, ihnen zu folgen, solange er nicht entdeckt wurde.
Dann war da auch noch die Sache mit den Munitionsdepots.
Barnes ging das Gespräch nicht aus dem Kopf, das er mit Jacques geführt hatte.
»Für den langen Weg von Abbeville bis hierher braucht man viel Benzin, Jacques.«
»Die Deutschen haben genug davon.«
»Was willst du damit sagen?«
»Sie verraten es auch bestimmt nicht meinem Onkel? Er macht sich sonst Sorgen.«
»Deshalb frage ich dich ja hier draußen, wo wir unter uns sind.« Barnes unterbrach für einen Moment seine Tätigkeit.
»Sieh mal, Jacques, ich muß mir ein möglichst genaues Bild von der Lage verschaffen. Du bist ein gutes Stück über Land gefahren und somit der einzige, der mir dabei helfen kann.«
»Ich hab’s aus einem deutschen Tanklager in der Nähe von Abbeville geklaut. Ich brauchte nur in einiger Entfernung von den Posten unter dem Drahtzaun hindurchzukriechen und mich zu bedienen. Die Deutschen haben zwar angedroht, jeden zu erschießen, den sie mit sogenanntem deutschen Eigentum aufgreifen. Doch das sagen sie nur, um die Leute abzuschrecken, weil sie nicht genügend Wachen haben.«
»Da war doch noch was mit den Munitionsdepots.«
»Ja, das gleiche Spiel. Ich bin mit einem Freund in ein Depot eingebrochen, das randvoll war mit Granaten und Munition.«
»Mir fällt es schwer, das zu glauben, Jacques.«
Der Junge wurde rot, dann lachte er. »Weil Sie nicht wissen, was passiert ist. Die deutschen Panzer und Geschütze sind mit ihren Nachschubkolonnen durchgebrochen, die Infanterie aber hängt noch weit zurück. Sie können einfach ihre Depots nicht ausreichend sichern.«
»Allmählich verstehe ich…«, murmelte Barnes.
»Mit der Sperrstunde in Cambrai verhält es sich ähnlich. Sie sagen, sie erschießen jeden, den sie nachts auf der Straße antreffen, aber nur, um die Leute einzuschüchtern. Man hat mir erzählt, man könnte nachts durch die ganze Stadt spazieren, ohne einem einzigen deutschen Soldaten zu begegnen. Nur am Rathaus sind welche. Ich glaube, die Ausgangssperre wurde verhängt, damit die Einwohner nicht merken, wie schwach das deutsche Truppenkontingent in Cambrai in Wirklichkeit ist.«
»Und die Straße nach Abbeville ist zur Zeit völlig frei, sagst du?«
»Außer bei Cambrai und den drei Straßensperren vor Abbeville. Ich kann Ihnen die Positionen da einzeichnen.«
Jacques deutete auf die Karte, die Barnes auf dem Panzerchassis ausgebreitet hatte.
»Ja, tu das.«
Er machte sich wieder über den Motor her, während Jacques die Straßensperren auf der Karte notierte.
»Was ist mit den Straßen nach Süden zur Somme?«
»Dazu kann ich nichts sagen. So weit nach Süden bin ich noch nicht gefahren.«
»Welche Route nimmst du, um Cambrai zu umgehen?«
»Diese hier nach Süden. Ich werde sie ebenfalls markieren.«
Jacques hob den Kopf. Seine Miene war ausdruckslos.
»Wenn Sie vor Cambrai nach Norden schwenken, kommen Sie vielleicht bis Boulogne durch. Ich kenne eine Straße, die an St. Pol und Fruges vorbeiführt. Es ist
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