Gehetzt
Land. Barnes gab Befehl zur Weiterfahrt, widerrief ihn aber sofort wieder und wartete, als er den kleinen, nach innen gewölbten Schirm vom Himmel herabschweben sah. Dabei dachte er an Penn. Am Nachmittag waren sie durch drei verlassene Dörfer gekommen. Er war ausgestiegen und durch die menschenleeren Straßen gelaufen, hatte auch jedesmal das Haus gefunden, an dem eine Metalltafel mit dem erlösenden Wort ›Medecin‹ angebracht war. Aber er hatte keine Menschenseele angetroffen, die Häuser waren alle verlassen. Im dritten Dorf hatten sie eine kurze Essenspause eingelegt und sich aus Mandels Proviantpaket gestärkt. Penn aß nichts, denn zu diesem Zeitpunkt dämmerte er halb bewußtlos vor sich hin.
Erschrocken tastete Barnes nach seiner Hand und atmete erleichtert auf, als er den ziemlich gleichmäßigen Puls spürte.
Doch die Stirn des Corporals war glühend heiß und feucht von Schweiß. Barnes’ Überlegungen konzentrierten sich ab sofort nur noch auf ein Ziel: für Penn so schnell wie möglich einen Arzt zu finden.
Sie befanden sich etwa sechs Kilometer vor dem nächsten Dorf, als über ihnen der Luftkampf entbrannte und Barnes den Panzer stoppen ließ. Reynolds wandte den Kopf und verfolgte den Flug des Fallschirms, der allmählich größer wurde und über die leeren Felder direkt auf sie zutrieb. Laut fragte er:
»Einer von uns oder von denen?«
»Keine Ahnung.«
Eine gute Frage, dachte Barnes, sogar eine lebenswichtige.
Das letzte, was sie jetzt in ihrer Lage brauchen konnten, war ein Pilot der Luftwaffe als ihr Gefangener. Doch wenn der Mann sie gesehen hatte und sie sich nicht um ihn kümmerten, würde keine Stunde vergehen, bis das deutsche Hauptquertier in Cambrai über den britischen Tank hinter den eigenen Linien Bescheid wußte. Barnes fluchte still in sich hinein. Er hatte schon einmal einem Deutschen aus Mitleid den Gnadenschuß geben müssen, damals, neben dem zerschossenen Armeelastwagen. Doch jemanden nur wegen der eigenen Sicherheit kaltblütig umzulegen war eine andere Sache. Wenn der Fremde aber zuerst schoß, würde Barnes ein halbes Magazin in ihn hineinpumpen.
Blieb noch die Möglichkeit, daß der abgesprungene Pilot sie nicht bemerkt hatte. Der Fallschirm sank immer tiefer und näher. Die kleine Gestalt darunter baumelte so stark in den Gurten hin und her, daß Barnes ihn nicht mit der Optik seines Fernglases einfangen konnte.
»Was machen wir, wenn’s ein Deutscher ist?« rief Reynolds aus dem Fahrstand nach oben.
»Dann haben wir ein kleines Problem.«
»Ich würde den Bastard erschießen. Wahrscheinlich hat er gerade einen dieser Flüchtlingstrecks auf den Straßen bepflastert.«
Barnes war verblüfft. Zum erstenmal hatte Reynolds seine Meinung geäußert, ohne danach gefragt worden zu sein. Seine verbrannten Arme mußten ihm übel zusetzen. Der Sergeant langte nach unten und klemmte sich die Maschinenpistole unter den Arm. Sie konnten nicht mehr hoffen, daß der Fallschirmspringer sie nicht entdeckt hatte, denn er schwebte immer näher auf den Panzer zu. Aus dieser Höhe und Entfernung mußte er ihn einfach sehen. Barnes kletterte aus dem Turm und wartete auf dem Chassis ab, wo der Mann herunterkam. Der Springer zerrte fieberhaft an den Seilen, und der Schirm, der fast senkrecht über dem Panzer gehangen hatte, driftete von ihm weg an der Straße entlang. Barnes sprang zu Boden.
»Ich könnte ihn mit dem Panzer verfolgen«, schlug Reynolds vor.
»Nein, diesen Vogel möchte ich mir mal aus der Nähe ansehen. Holen Sie sich eine Maschinenpistole aus dem Turm, und warten Sie hier.«
›Unser Hauptproblem im Moment sind unsere überstrapazierten Nerven‹, dachte Barnes. Abgesehen von einigen wenigen Stunden auf dem Mandelschen Hof, der ihm wie eine Oase des Friedens in einer vom Krieg zerrissenen Welt erschienen war, hatten sie ständig vor dem Feind auf der Hut sein müssen. Dabei waren die Panzer ebenso ihre Feinde wie die Plünderer à la Lebrun oder der Agent Seft. Sie waren keinen Augenblick zur Ruhe gekommen.
Was mag da wieder auf uns zukommen? Wenn der Bursche da vorn mir auch nur den geringsten Anlaß gibt, drücke ich ab, dachte Barnes.
Er lief über die staubige Straße hinter dem Fallschirm her.
Der Pilot landete auf dem angrenzenden Feld, der aufgeblähte Schirm schleifte ihn noch ein paar Meter durch das Gras und sank dann langsam in sich zusammen. Barnes lief schneller. Er wollte an Ort und Stelle sein, ehe sich der Mann von dem Schirm befreit hatte.
Weitere Kostenlose Bücher