Gehetzt
Haaresbreite entgangen.«
»Klingt ja nicht gerade aufregend. Mir scheint, ihr könnt ein wenig Verstärkung gebrauchen.«
»Stimmt, aber Tanks sind nun mal keine Flugzeuge, und Sie sind Pilot.«
»Eins zu null für Sie. Wie sieht also die Alternative aus?«
»Daß Sie versuchen, sich allein nach Hause durchzuschlagen.«
Barnes schwieg einen Moment.
»Wenn Sie nicht den einfachsten Weg wählen und auf dieser Straße nach Cambrai zu den Deutschen marschieren. Dann könnten Sie das Ende des Krieges in einem schönen, ruhigen Kriegsgefangenenlager abwarten.«
Der Sergeant wartete auf eine Reaktion des Kanadiers, doch in dem ausdruckslosen Gesicht des Piloten zuckte kein Muskel. Selbst seine Stimme klang unverändert freundlich.
»Schätze, Ihr Freund da im Panzer verpaßt mir sofort eine Ladung, wenn ich Ihnen für diese Bemerkung eins aufs Maul gebe, stimmt’s?«
»Mit Sicherheit. Aber seien Sie nicht beleidigt, Colburn. Ich muß nur völlig sicher sein.«
»Was wollen Sie denn noch? Ich dachte, Sie hätten inzwischen kapiert, daß ich vor einer halben Stunde von Manston gestartet bin.«
»Ich muß sicher sein, daß Sie mir nicht in die Quere kommen. Sie behaupten, Sie seien Kanadier, tun aber Dienst in der RAF.«
»Ich habe mich freiwillig gemeldet. Es war sehr heiß an jenem Tag, und da macht man schon mal Dummheiten…«
»Was hatten Sie für einen Zivilberuf?«
»Ich habe meinen Abschluß in Medizin gemacht…«
»Sie sind Arzt?«
Barnes versuchte erst gar nicht, seine Überraschung und Erleichterung zu verbergen.
»Nein. Ich habe nie praktiziert. Der Beruf gefiel mir nicht, also wurde ich Chemiker.«
»Ein Apotheker!«
Barnes hatte Schwierigkeiten, sich Colburn hinter einem Ladentisch als Aspirinverkäufer vorzustellen.
»Nein, Industrie-Chemiker. Ich interessiere mich für die Entwicklung von hochexplosiven Sprengstoffen und hatte schon nach ein paar Jahren eine eigene Firma. Wir belieferten das ganze Land mit Sprengmaterial für die Arbeit in Steinbrüchen. Verstehen Sie nun, wie verrückt ich danach war, mich freiwillig zu melden?«
»Sie hatten einen eigenen Laden und haben alles hingeschmissen?«
Barnes musterte Colburns gebräuntes Gesicht und fragte sich, was einen Mann dazu bewegen mochte, alles aufzugeben und viertausend Kilometer durch die Weltgeschichte zu gondeln, um in einem Krieg zu kämpfen, der ihn persönlich kaum etwas anging. Dem Sergeant fiel seine Entscheidung nicht gerade leicht.
»Nein, ganz so dumm war ich auch wieder nicht. Bis ich zurückkomme, kümmert sich mein Bruder um das Geschäft.«
Colburn lächelte.
»Ed ist der Meinung, die Engländer sollten ihre Kriege allein ausfechten. Vielleicht hat er recht. Doch mal was anderes, Sergeant. Weshalb haben Sie fast einen Luftsprung gemacht, als ich mein Medizinstudium erwähnte?«
»Mein Corporal ist schwer verwundet, und ich suche schon seit Stunden vergeblich nach einem Arzt. Würden Sie ihn sich mal ansehen? Ich bitte Sie darum.«
»Aber gern. Doch vergessen Sie nicht, ich bin der hochqualifizierteste nichtpraktizierende Arzt der westlichen Hemisphäre. Wo ist der Mann?«
Barnes blieb und begann den Fallschirm des Piloten zusammenzulegen. Colburn ging zu Reynolds hinüber, der abwartend auf dem Panzerchassis stand. Es dauerte ein paar Minuten, bis der Sergeant den Schirm zu einem Bündel verschnürt hatte, das einer überdimensionalen Daunenfeder glich. Er versteckte das Paket in einem trockenen Wassergraben. Man mußte ja nicht unbedingt eine deutsche Patrouille, die vielleicht zufällig vorbeikam, mit der Nase darauf stoßen, daß in dieser Gegend ein englischer Flieger heruntergekommen war.
Als der Sergeant schließlich beim Panzer anlangte, war Reynolds im Innern verschwunden. Nur Colburns Kopf ragte aus dem Turm. Mit leiser Stimme fragte der Kanadier:
»Der Bursche da unten ist ein guter Freund von Ihnen?«
»Er ist mein Corporal«, antwortete Barnes ausweichend.
»Die Operation war nicht sehr gut durchgeführt. Tut mir leid, aber ich muß Ihnen etwas sehr Unerfreuliches sagen.«
»Er wird’s also nicht schaffen?«
»Er hat es nicht geschafft. Er ist tot.«
Sie brauchten über eine Stunde, um in der von der Sonne festgebackenen französischen Erde das Grab auszuheben. Sie benutzten die gleichen Schaufeln, mit denen sie sich aus dem Tunnel bei Etreux befreit hatten, und wechselten sich bei der Arbeit ab, da Colburn darauf bestand, mitzuhelfen. Während seiner Ruhepause ließ Barnes den Kanadier
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