Gehetzt
Der Fremde öffnete die Gurte und kam, das Gesicht Barnes zugewandt, auf die Knie. Der Sergeant stürmte mit der Waffe im Anschlag auf ihn zu. Waren Piloten eigentlich bewaffnet? Er wußte es nicht, wollte aber auch kein Risiko eingehen. Die kniende Gestalt hatte die Waffe gesehen und verharrte in ihrer Haltung. Langsam hob der Springer die Arme über den Kopf, um zu zeigen, daß er unbewaffnet war.
Gleich wissen wir mehr, mein Freund, dachte Barnes grimmig. Plötzlich begann der Mann zu sprechen.
»Was hat ein Limey in diesem Teil Frankreichs zu suchen. Das wüßte ich gern. Bitte nicht schießen – der Pilot hat nur seine Pflicht getan.«
»Sie sind RAF-Pilot?« fragte Barnes verblüfft und hielt die Mündung der Maschinenpistole auf die Brust des Fremden gerichtet. Seine Blicke wanderten über den Fliegerdreß des Mannes. Der Pilot hatte die Schutzbrille über den Lederhelm geschoben. Barnes blickte in das hagere Gesicht eines Mannes, der zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig Jahre alt sein mochte. Die Haut war tiefbraun, fast wie gegerbtes Leder, eine riesige Nase wölbte sich über einen breiten Mund mit festen Lippen. Sein vorgeschobenes Kinn ließ auf Charakterstärke und Mut schließen.
Das ist ein harter Brocken, dachte Barnes. Der Eindruck wurde allerdings etwas gemildert durch die humorvollen blauen Augen, und die Antwort des Fremden lieferte sofort die Bestätigung dafür.
»Wenn ich nicht zur RAF gehöre, dann beschäftigt die Luftwaffe ziemlich merkwürdige Zeitgenossen.«
Der Mann sprach mit einem breiten amerikanischen Akzent, und das allein war schon eine Überraschung. Noch verblüffender war, daß der Bursche eher belustigt als verängstigt wirkte – nicht gerade die übliche Reaktion, wenn man sich vor dem falschen Ende eines Gewehrs befand. Doch Barnes war auf der Hut. Er hatte nicht vergessen, daß Penn auch Seft für einen ehrlichen und vertrauenswürdigen Belgier gehalten hatte. Es war nicht auszuschließen, daß die Luftwaffe ein paar übergelaufene Amerikaner beschäftigte.
»Stehen Sie auf«, befahl er barsch.
»Ich glaube, ich habe mir bei der Landung beide Beine gebrochen, Sergeant.«
Großer Gott, noch eine lahme Ente auf meinem Panzer, dachte Barnes. Als ob er nicht schon alle Hände voll mit Penn zu tun hätte. Jetzt bekam er vielleicht noch einen Patienten dazu. Der Panzer verwandelte sich langsam, aber sicher in eine fahrbare Krankenstation. Nur wußte der Sergeant nicht, wohin mit dem Kranken. Er trat mehrere Schritte zurück. Der Pilot kam langsam auf die Beine. Dabei grinste er aufreizend.
»Ich muß mich korrigieren, Sergeant. Meine Beine fühlten sich nur so an, als seien sie gebrochen. Sind Sie schon einmal mit so einem Ding zur Erde gesegelt? Zuerst kommt sie dir langsam und friedlich entgegen, doch in der letzten Minute rast sie auf dich zu und schlägt dir wie ein Dampfhammer die Beine weg.«
»Ich wußte gar nicht, daß die RAF auch Amerikaner rekrutiert«, sagte Barnes scharf.
»Kanadier, wenn’s beliebt.«
Der Fremde hob in gespieltem Entsetzen eine behandschuhte Hand. »Obwohl Ihr geographischer Irrtum an sich verständlich ist, Sergeant. Meine Mutter ist Kanadierin, mein Vater war Amerikaner. Ich bin in Kanada geboren. Schon mal was von Wainwright, Alberta, gehört? Nein? Na schön, wie sollten Sie auch? Ist ja nur ein Pünktchen auf der Karte, obwohl die CNR-Expreßzüge dort halten, um die Einheimischen mit Eiscreme zu versorgen.«
Er deutete auf den Panzer hinter Barnes.
»Ist das Ihre Blechbüchse dort?«
»Die Blechbüchse ist ein Matilda-Tank. Können Sie sich irgendwie ausweisen?«
»Natürlich. Hoffentlich bekommt Ihr Finger am Abzug keine nervösen Zuckungen, wenn ich langsam die Jacke aufknöpfe und meine Hand hineinschiebe.«
Barnes schwieg und beobachtete argwöhnisch, wie der Mann mit vorsichtigen Bewegungen in seine Jacke griff und tatsächlich einen RAF-Ausweis hervorzog. Der Pilot hielt ihn einen Augenblick zwischen den Fingern.
»Ich könnte ihn herüberreichen, doch vielleicht fürchten Sie, ich könnte Sie angreifen. Werfe ich ihn Ihnen aber zu, müßten Sie sich bücken, und ich könnte Ihnen einen Tritt gegen den Kopf versetzen. Was also soll ich tun?«
»Lassen Sie ihn fallen und gehen Sie sechs Schritte zurück.«
Vorsichtig bewegte sich der Pilot rückwärts. Barnes bückte sich rasch nach dem Ausweis und blätterte ihn mit der linken Hand auf. Dabei fragte er sich, ob er den Mann aus übertriebener Vorsicht
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