Gehetzt
nicht aus den Augen. Was den rein körperlichen Vergleich zwischen Colburn und Reynolds betraf, war die Wahl einfach, doch Barnes gefiel einfach, wie schnell sich Colburn einer völlig veränderten Situation anpaßte. Bis vor kurzem noch hatte der arme Hund sicher damit gerechnet, sich nach seiner Rückkehr in Manston in der nächsten Kneipe ein Bier genehmigen zu können. Statt dessen befand er sich nun mitten in der Kampfzone und half einen Mann unter die Erde bringen, den er nur als Toten kennengelernt hatte. In Barnes’ Innerem war alles taub, er empfand einen dumpfen Schmerz. Drei Jahre war er mit Penn zusammengewesen, und in der Zeit hatte sich zwischen ihnen eine stille Freundschaft entwickelt, die sie so reibungslos Hand in Hand arbeiten ließ, als hätten sie sich schon zeitlebens gekannt. Penn, der nie an irgend etwas geglaubt, sondern immer alles in Frage gestellt hatte, Penn, der sich immer darüber amüsiert hatte, daß der Sergeant seinen Beruf so ernst nahm, dieser Penn war ein Mann gewesen, auf den man sich jederzeit hatte verlassen können. Und, bei Gott, sie hatten sich auf ihn verlassen müssen, als er in jener Nacht an der Brücke als deutscher Posten die Panzerkolonne an sich vorbeirollen ließ. Penn hatte jetzt seine Heimstatt gefunden, wenn es auch nicht die war, die Barnes ihm gewünscht hätte.
Was zuerst als der einfachste Teil ihrer traurigen Pflicht erschienen war, erwies sich jetzt als der schwierigste – die Grablegung des Leichnams. Das Grab war fertig. Colburn stand daneben und überließ es Barnes und Reynolds, den Körper, den sie erst in eine Decke und zusätzlich noch in eine Zeltbahn eingewickelt hatten, hochzuheben und ins Grab zu senken. Auf halber Höhe verengte sich das Loch, und das Bündel blieb stecken. Die beiden hoben den Leichnam an und ließen ihn erneut hinab. Wieder blieb er stecken.
Barnes sagte zu Colburn: »Würden Sie bitte das Seil halten?«
Er wartete, bis der Kanadier seinen Platz eingenommen hatte, kniete nieder und preßte seine flache Hand auf das Bündel.
Durch die Zeltplane fühlte er deutlich Penns dicken Verband am linken Arm. Colburn hatte die schweren Verbrennungen über der Schulterwunde als mögliche Todesursache bezeichnet. Der eingewickelte Leichnam rührte sich nicht.
Barnes drückte stärker und hatte dabei das unbestimmte Gefühl, daß Penn hier nicht begraben werden wollte. Was hatte der Corporal noch gesagt? »Ich sitze wieder hinter der Kanone, noch ehe wir Calais erreichen.«
Es war noch ein weiter Weg bis Calais. Penn würde nie erfahren, ob sie es geschafft hatten. Barnes drückte stärker.
Ihnen blieb keine Zeit mehr, um das Grab zu vergrößern. In dem ebenen Gelände waren sie kilometerweit zu sehen.
Plötzlich gab der Körper seinen Widerstand auf und rutschte so rasch in die Tiefe, daß Barnes beinahe das Gleichgewicht verlor. Sein Gesicht und seine Hände waren schweißüberströmt. Er wollte nur noch eines: so schnell wie möglich weg von diesem Ort.
»Sollen wir ein Gebet sprechen?« murmelte Reynolds.
»Nein«, sagte Barnes knapp. »Er glaubte nicht an Gott. Wußten Sie das nicht?«
Sie schlossen das Grab und steckten als Markierung eine Schaufel in die Erde. Etwas anderes fanden sie nicht. Auf dem Holzstiel hatte Barnes mit dem Messer ein paar Worte eingeritzt: »18972451 Corporal M. Penn. Im Kampf gefallen am 25. Mai 1940.«
Ehe sie abfuhren, bat der Sergeant Colburn, nach seiner Schulterwunde zu sehen, denn die Wunde war wieder aufgeplatzt, als er beinahe in das Grab gestürzt wäre. Er hockte sich auf das sonnenwarme Chassis. Der Kanadier entfernte den Notverband und stieß eine Reihe von Flüchen aus.
»Der Verband hätte schon viel früher erneuert werden müssen.«
»Sie meinen, die Wunde hat sich entzündet?« fragte Barnes ruhig.
»Nein, Sie hatten Glück. Nur die Außenschicht des Pflasters ist stark verschmutzt. Die Wunde ist wieder aufgeplatzt, na schön. Aber sie ist noch sauber, und das ist die Hauptsache.
Halten Sie still, es könnte weh tun.«
Er reinigte behutsam die blutende Wunde, legte einen neuen Notverband an und half Barnes wieder in Hemd und Jacke. Die Schulter begann zu klopfen, der ziehende Schmerz zehrte an seinen Kräften. Der Sergeant biß die Zähne zusammen, entnahm der Tasche mit Penns Soldbuch und Tagebuch einen Stift, schlug die Karte auf und markierte auf ihr die Stelle, an der Penn begraben war. Vielleicht wollten seine Eltern eines Tages das Grab besuchen, und bis dahin
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